Agender

Der Begriff „agender“ ist eine Selbstbezeichnung für Menschen, die keine Geschlechtsidentität besitzen, sich also keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Da „keine Geschlechtsidentität“ sich außerhalb der Zweiteilung männlich/weiblich befindet, werden agender Identitäten auch häufig als eine Unterkategorie von nichtbinären Geschlechtsidentitäten betrachtet. Weitere Selbstbezeichnungen für agender Personen sind z.B. geschlechtslos, geschlechtsneutral oder im englischsprachigen Raum auch „neutrois“.

Agender Personen sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass Geschlechtsidentitäten in vielen Kulturen eine so zentrale Rolle in der Identität von Menschen spielen, dass es für andere schwer vorstellbar scheint, keine Geschlechtsidentität zu besitzen. Das gilt sowohl für sogenannte Alltagswahrheiten über Geschlecht („common sense“) als auch für akademische Theorien zu Geschlecht. Tatsächlich ist eine agender Identität in kontemporären westlichen Kulturkreisen ohne einen Bezug auf das Konzept Geschlecht, wenn auch nur in Form einer Negation („ich habe keins“) nicht vermittelbar. Insofern kann geschlechtertheoretisch argumentiert werden, dass auch eine agender Position sich einer Verortung in Bezug auf Geschlecht nicht entziehen kann. Der Begriff selbst macht das ja schon deutlich, da er vor allem ausdrückt, was eine Person nicht ist, sich also negativ von Geschlecht abgrenzt. Agender Personen müssen oft auf Konzepte wie männlich, weiblich, nichtbinär, trans* usw. zurückgreifen, um ihre eigene Verortung jenseits von Geschlecht begreifbar zu machen. Teilweise überlappen sich diese Identitäten auch und ein Individuum benutzt mehrere Selbstdefinitionen, z.B. agender, trans* und nichtbinär. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine agender Identität gibt, sondern verdeutlicht die Wirkmächtigkeit der Normen. Hinzu kommt, dass auch agender Personen von anderen aufgrund äußerlicher Merkmale Geschlechtern zugeordnet werden, z.B. in alltäglichen Interaktionen, weil eine grundlegende kulturelle Annahme ist, dass jede Person auch ein Geschlecht hat und dass man es anhand äußerlicher Merkmale bestimmen kann. Wenn eine agender Person von anderen als Person mit einem Geschlecht behandelt wird, z.B. durch eine Anrede als „Herr Soundso“ handelt es sich um eine Form des Misgenderns.

 

Menschen mit Behinderungen wurden und werden häufig als geschlechtslose oder geschlechtsneutrale Wesen angesehen. Im Gegensatz zum Begriff agender handelt es sich dabei aber um diskriminierende und entmenschlichende Fremdzuschreibungen. Inwiefern eine Identität als agender vor diesem Hintergrund für Menschen mit Behinderungen eine Option ist, müsste noch erforscht werden. Zunächst stand -und steht die Anerkennung als Männer oder Frauen im Kampf gegen Ableismus im Vordergrund.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • Ewinkel, Carola/Hermes, Gisela (Hrsg.) (1986): Geschlecht: behindert. Besonderes Merkmal: Frau. Neu-München: AG SPAK.
  • Siegel, Derek P./Galupo, M. Paz (2021): Agender People. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 21-22.