Antifeminismus
Glossarbeitrag: Antifeminismus
Antifeminismus bezeichnet eine reaktionäre Strömung, die sich gegen feministische Bestrebungen richtet und patriarchale Dominanz zu bewahren oder wiederherzustellen sucht. Während feministische Bewegungen auf die Pluralisierung sexueller, geschlechtlicher und familiärer Lebensformen sowie die Überwindung patriarchaler Gewalt- und Herrschaftsstrukturen abzielen, lehnt der Antifeminismus diese Entwicklungen ab. Feministische Errungenschaften werden als illegitim betrachtet und sollen – je nach ideologischer Ausprägung – entweder rückgängig gemacht oder in ihrem gesellschaftlichen Einfluss begrenzt werden.
Antifeminismus ist dabei sowohl ein Ressentiment als auch eine Ideologie. Als Ressentiment strukturiert er eine bestimmte Wahrnehmung sozialer Prozesse, indem er feministische Forderungen als Bedrohung konstruiert und Geschlechterverhältnisse als eine vermeintlich natürliche und zu bewahrende Ordnung darstellt. In ideologischer Hinsicht erfüllt Antifeminismus eine tiefere psychosoziale Funktion: In Anlehnung an Theodor W. Adorno kann er als Ausdruck einer ‚Unfähigkeit, Erfahrung zu machen‘ verstanden werden – also als Verweigerung feministischen Denkens, selbst wenn wichtige Personen im Leben der Antifeminist*innen von diesem sichtlich profitieren. Diese ideologische Funktion stabilisiert traditionelle Machtverhältnisse und dient der Abwehr gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse.
Es ist wichtig, Antifeminismus von Misogynie und Sexismus zu unterscheiden. Während Misogynie die ontologische Minderwertigkeit von Frauen behauptet und in expliziter Frauenfeindlichkeit mündet, beruht Sexismus auf der Vorstellung vermeintlich natürlicher geschlechtlicher Unterschiede, aus denen eine spezifische soziale Rollenverteilung abgeleitet wird. Antifeminismus kann sich sowohl misogyn als auch sexistisch äußern, bleibt jedoch primär eine politische und ideologische Bestrebung zur Wahrung oder Reetablierung patriarchaler Strukturen.
Der Begriff Antifeminismus wurde von der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm geprägt, die ihn zur Beschreibung derjenigen verwendete, die sich im Zuge der erstarkenden Frauenbewegung gegen feministische Forderungen organisierten. Diese Gegenbewegungen formierten sich insbesondere im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die frühen Forderungen nach Frauenbildung, politischer Partizipation und ökonomischer Eigenständigkeit. Insbesondere im Kontext der Märzrevolution von 1848 wurde sichtbar, dass antifeministische Argumentationen nicht nur aus einem konservativen oder religiösen Weltbild heraus erwuchsen, sondern auch mit reaktionären, antidemokratischen und völkischen Strömungen verwoben waren.
Bereits in dieser frühen Phase bestand eine enge ideologische Verbindung zwischen Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus. Völkisch-nationalistische Kreise sahen in der Frauenbewegung ein Projekt der Moderne, das als ‚jüdisch unterwandert‘ galt. Insbesondere die Vorstellung, dass Frauen durch Bildung und politische Teilhabe aus ihrer vermeintlich natürlichen Rolle als Mütter und Ehefrauen gedrängt würden, wurde mit der antisemitischen Erzählung verknüpft, dass jüdische Intellektuelle die traditionelle Ordnung zerstören wollten. Diese Verschwörungserzählungen dienten dazu, Frauenrechte als Teil eines größeren Angriffs auf die ‚Volksgemeinschaft‘ zu deuten, hinter dem ein Weltjudentum stünde.
Diese historischen Verschränkungen von Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus finden sich auch in heutigen rechtsextremen Ideologien. Verschwörungstheorien über einen angeblichen ‚Kulturmarxismus‘ oder die sogenannte ‚Woke-Culture‘ aktualisieren bekannte antisemitische Narrative in neuem Gewand. Der moderne Antifeminismus verknüpft sich mit dem Narrativ eines ‚Großen Austauschs‘, in dem die feministische Bewegung als Ursache für niedrige Geburtenraten und damit als Bedrohung für die nationale oder ethnische Reproduktion und als Grund für die ‚Massenmigration‘ dargestellt wird. Die LSBTIQA*-Community und der Queer-Feminismus werden als Grund für den ‚Volkstod‘ gesehen und den Versuch ‚echte Frauen‘ zu verdrängen.
In diesem Kontext treten populäre Figuren wie Elon Muskmusk, Andrew Tate oder Jordan Peterson als Multiplikatoren antifeministischer Ideologie auf. Sie vertreten – in unterschiedlicher Radikalität – die These, dass moderne feministische Errungenschaften nicht nur überflüssig, sondern gesellschaftlich schädlich seien. Während Peterson die Frauenbewegung als Ursache einer ‚Krise der Männlichkeit‘ konstruiert, propagiert Tate eine offen frauenfeindliche Hypermaskulinität, die insbesondere in rechtsextremen Kreisen Anschluss findet. Musk fabuliert von einer ‚Zersetzung der Zivilisation‘, personifiziert durch George Soros, der Teil vieler Verschwörungserzählungen ist.
Antifeministische Ideologie manifestiert sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Ausdrucksformen. Die stochastische Dimension rechtsextremen Terrors führte beispielsweise 2019 in Halle zum Angriff auf eine Synagoge. Der Attentäter bezog sich in seinem Manifest auf antisemitische und rassistische Verschwörungstheorien, in denen Frauen für persönliche und gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht wurden und die Ursache im Feminismus liege.
Eine andere Ausdrucksform sind die politischen Angriffe auf Frauenrechte. In vielen Ländern setzen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien auf eine antifeministische Agenda, die von der Einschränkung reproduktiver Rechte bis hin zur Verdrängung feministischer Inhalte aus Bildungs- und Wissenschaftspolitik reicht. Beispiele hierfür sind die Abtreibungsverbote in den USA nach der Aufhebung von Roe v. Wade oder Kampagnen gegen Gender Studies in Europa. Auch in Onlineplattformen entsteht eine antifeministische Öffentlichkeit. Subkulturen wie die ‚Manosphere‘ oder Incel-Foren sind ideologische Brutstätten für Gewaltfantasien und Hass gegen Frauen und der LSBTIQA*-Community.
2024
Furkan Yüksel
Literatur:
- Fiona Kalkstein, Gert Pickel, Johanna Niendorf: Antifeminismus und Antisemitismus – eine autoritär motivierte Verbindung?, in: Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller, Elmar Brähler (Hg.): Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen, Leipziger Autoritarismus Studie 2024, Gießen, 2024, S. 161-180.
- Fiona Kalkstein, Gert Pickel, Johanna Niendorf, Charlotte Höcker, Oliver Decker: Antifeminismus und Geschlechterdemokratie, in: Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller, Elmar Brähler (Hg.): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?. Leipziger Autoritarismus Studie 2022, Gießen, 2022, S. 245-270.
- Anette Henninger, Ursula Birsl (Hg.): Antifeminismen. ‘Krisen’-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potential?, Bielefeld, 2020.
- Autor*innenkollektiv “Feministische Intervention”: Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt, Berlin, 2019.
- Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart, 2017.
- Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main, 1973.
- Hedwig Dohm: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, Berlin, 1902.
