Antimuslimischer Rassismus

Glossarbeitrag: Antimuslimischer Rassismus

Antimuslimischer Rassismus bezeichnet eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Muslim:innen richtet. Dabei werden nicht nur Angehörige des Islams diskriminiert, sondern auch Personen, die aufgrund ihres Namens, ihres äußeren Erscheinungsbildes oder kultureller Marker als „muslimisch“ wahrgenommen werden. AMR beruht auf der Konstruktion eines homogenen, negativen Fremdbildes von Muslim*innen als ‘dem Anderen’ und ist eingebettet in gesellschaftliche Machtverhältnisse, die soziale, politische und ökonomische Ungleichheiten reproduzieren.

Der Begriff Islamophobie wurde in den 1990er Jahren popularisiert und bezeichnete ursprünglich eine diffuse Angst oder Skepsis gegenüber ‘dem Islam’ oder seinen Anhänger*innen. Kritik an diesem Begriff führte zur Einführung der Begriffe Islamfeindlichkeit oder Muslimfeindlichkeit, die stärker die feindselige, teils gewaltvolle Dimension dieser Einstellung betonen. Die Bezeichnung antimuslimischer Rassismus wurde eingeführt, um die strukturelle und rassifizierende Dimension der Diskriminierung sichtbar zu machen. Im Gegensatz zu vorherigen Definitionsversuchen, beschreibt AMR eine ethnisierende und kulturalisierende Form des Rassismus, in der Muslim*innen nicht zwangsläufig wegen ihrer Glaubensüberzeugungen, sondern wegen zugeschriebener kultureller oder ethnischer Merkmale als bedrohlich konstruiert werden. Diese Dynamik ist Teil eines allgemeinen Trends zur Kulturalisierung von Rassismus, der sich in westlichen Gesellschaften durchgesetzt hat.

In modernen rassistischen Diskursen wird die offene Differenzierung nach biologischen Kriterien zunehmend durch eine vermeintliche Kulturunverträglichkeit ersetzt. Dabei bleibt die Kernstruktur rassistischer Ideologien erhalten: Eine „Wir-Gruppe“ definiert sich durch Abgrenzung zu einem „Anderen“, dem pauschal negative Eigenschaften zugeschrieben werden.

Die Konstruktion einer muslimischen „Andersheit“ reicht bis in die Frühe Neuzeit zurück. Besonders prägend war die Bedrohung durch das Osmanische Reich, das nach der Eroberung Konstantinopels 1453 als zentrale militärische Herausforderung für Europa galt. Der spätere Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini) bezeichnete Europa als “Heim und Herd” und “Vaterland” und etablierte damit das Verständnis eines ‘christlichen Abendlandes’, das eine Dichotomie zwischen einem ‘europäischen Wir’ und den ‘fremden Türken’ aufmachte. Es ist jedoch entscheidend, hier zwischen frühen Formen der Feindbildkonstruktion und dem modernen Konzept von Rassismus zu unterscheiden. Während es im 15. und 16. Jahrhundert primär um militärische und religiöse Konflikte ging, setzt Rassismus eine strukturelle Machtasymmetrie voraus, in der eine dominante Gruppe eine andere systematisch unterordnet. Das Osmanische Reich selbst war eine imperiale Großmacht, die über mehrere Jahrhunderte hinweg europäische Territorien kontrollierte und an internationalen politischen Entscheidungen – wie der Kongo-Konferenz 1884/85 – beteiligt war. Die heutige Form des antimuslimischen Rassismus ist daher ein modernes Phänomen, das mit kolonialen Diskursen, historischen Narrativen und migrationspolitischen Debatten verwoben ist. Insbesondere seit den 1980er Jahren lässt sich eine zunehmende Verbindung zwischen Migrationsdiskursen und Sicherheitsdebatten beobachten. Diese Entwicklung wurde nach den Anschlägen des 11. September 2001 massiv verstärkt.

Die islamistischen Anschläge von Al-Qaida und später des sogenannten „Islamischen Staates“ führten zu einer globalen Verschärfung antimuslimischer Diskurse. In westlichen Ländern wurden restriktive Sicherheitsgesetze eingeführt, die in ihrer Anwendung oft muslimische Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark betrafen. Ein prominentes Beispiel ist der USA PATRIOT Act, der eine weitreichende Überwachung und Kontrolle von Muslim*innen legitimierte. Neben staatlicher Repression kam es auch zu einem Anstieg rassistischer Gewalt.

Auch in Deutschland zeigt sich AMR in verschiedenen Formen: Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und in Bildungseinrichtungen, insbesondere gegenüber Frauen, die ein Kopftuch tragen, gesetzliche Einschränkungen, etwa Kopftuchverbote für Lehrerinnen oder Richterinnen in mehreren Bundesländern, rassistische Gewalt –von Beleidigungen bis hin zu physischen Angriffen.

AMR ist ein zentraler Bestandteil rechter Verschwörungserzählungen. Besonders verbreitet ist die Theorie des „Großen Austauschs“, die besagt, dass eine angebliche „Elite“ – oft antisemitisch als „globalistisch“ oder „jüdisch“ markiert – eine systematische Ersetzung der weißen autochthonen Bevölkerung durch muslimische Migrant*innen plane. Attentäter wie in Christchurch (2019) oder Halle (2019) handelten nach rechtsextremer Ideologie. Diese Beispiele zeigen, dass AMR innerhalb rechtsextremer Ideologien nicht isoliert existiert, sondern eine enge Verbindung zu Antisemitismus und Antifeminismus aufweist.

Eine besondere Dynamik entsteht durch die Wechselwirkung zwischen antimuslimischem Rassismus und islamistischen Bewegungen. Islamistische Gruppierungen nutzen AMR gezielt für ihre Propaganda, um junge Muslim*innen für ihre Ideologien zu gewinnen. Die zentrale Erzählung lautet, dass westliche Gesellschaften Muslim*innen niemals als gleichwertige Bürger*innen akzeptieren würden und dass nur ein islamistisches Kalifat Schutz und Würde bieten könne.

Rechtsextreme und islamistische Gruppen befinden sich somit in einer gegenseitigen Verstärkungsdynamik. Rechtsextreme benutzen islamistischen Terror, um pauschal Muslim*innen als Bedrohung zu diffamieren und restriktive Maßnahmen gegen sie zu fordern. Islamisten verweisen auf diese Diskriminierung, um ihre Anhänger:innen weiter zu radikalisieren. Gleichzeitig kann auch AMR als Vorwurf durch islamistische Gruppierungen instrumentalisiert werden, während vermeintliche Islamismuskritik von rechter Seite häufig rassistische Narrative reproduziert und dient dazu Asyl- und Migrationsdebatten weiter aufzuheizen.

2024
Furkan Yüksel

Literatur:

  • Ozan Zakariya Keskinkılıç: Muslimaniac. Die Karriere eines Feindbildes, Berlin, 2023.
  • Asiem El Difraoui: Die Hydra des Dschihadismus. Entstehung, Ausbreitung und Abwehr einer globalen Gefahr, Bonn, 2023.
  • Vojin Saša Vukadinović: Rassismus: Von der frühen Bundesrepublik bis zur Gegenwart, Berlin, 2022.
  • Bülent Uçar, Wassilis Kassis (Hg.): Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit, Osnabrück, 2019.
  • Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart, 2017.
  • Floris Biskamp: Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit: antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie, Bielefeld, 2016.