Antimuslimischer Rassismus | Intersektional

Glossarbeitrag: AMR intersektional (Fokus Race & Gender)

Der antimuslimische Rassismus beschreibt das Phänomen, dass Muslim*innen, aber auch Menschen die als solche wahrgenommen werden, rassifiziert werden anhand ihrer vermeintlichen “Kultur“.

Bedauerlicherweise werden in Diskursen zum antimuslimsichen Rassismus besonders männliche Betroffenenperspektiven zentriert und angehört. Dieses Phänomen ist kein Sonderfall und kann auch in anderen rassismuskritischen Räumen und Bewegungen beobachtet werden. Die einzigartigen Erfahrungen, Perspektiven und Kämpfe, die den Alltag von Muslimas ausmachen, sind vergleichsweise unsichtbar. Dieser Glossarbeitrag setzt deshalb den Fokus auf das Geschlecht.

Die Psychologin Grada Kilomba definiert in ihrem Buch; Plantation Memories – Episodes of Everyday Racism geschlechtsspezifischen Rassismus (Gendered Racism). „Rassismus funktioniert nicht als eigenständige Ideologie und Struktur, sondern steht in Wechselwirkung mit anderen Ideologien und Herrschaftsstrukturen wie dem Sexismus” (Kilomba, 2008). Die Autorin veranschaulicht geschlechtsspezifische Unterschiede rassistischer Stereotypen. So werden muslimische Frauen beispielsweise stereotypisiert als ungebildet, passiv, unterdrückt und sexuell repressiv. Wohingegen muslimische Männer konstruiert werden als frauenfeindlich, misogyn, gewalttätig und kriminell.

In ihrer bahnbrechenden Analyse (Crenshaw,1989) mehrerer abgelehnter Gerichtsfälle von Schwarzen Frauen gegen ihre Arbeitgeber, entwarf die Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw das Analyseinstrument Intersektionalität. Crenshaw argumentierte, dass Schwarzen Frauen eine einzigartige Form der Diskriminierung erlebten aufgrund der Kombination an Zugehörigkeiten zu zwei marginalisierten Gruppen, beispielsweise muslimisch (gelesen) und Frauen. Dabei wirkt die Kombination beider Diskriminierungsformen nicht additiv, sondern ergibt eine vollkommen neue, einzigartige Struktur, deren Realität nicht vergleichbar ist mit den Erfahrungen muslimischer Männer bzw. weißer Frauen.

Diese beschriebene einzigartige Lebensrealität, welcher muslimische Frauen ausgesetzt sind, ist erkennbar am tragischen Beispiel von Marwa El-Sherbini. Sie wurde am 1. Juli 2009 im Landgericht Dresden ermordet. El-Sherbini stellte einen Strafantrag gegen den Täter, weil er sie rassistisch beleidigt hatte. Der Täter beschimpfte sie als „Islamistin“, „Schlampe“ und „Terroristin“ und argumentierte, dass es Musliminnen verboten werden soll, Kinder zu bekommen. El-Sherbini’s Mord verdeutlicht wie misogyne und rassistische Strukturen muslimische Frauen vulnerabel zurücklassen. Und dabei war Marwa El-Sherbini kein Einzelfall.

„Muslimische Frauen sind aufgrund mehrerer Diskriminierungsgründe überproportional von antimuslimischem Rassismus betroffen, insbesondere wenn sie religiöse Kleidung tragen. Sie werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer sozialen Schicht und ihres Migrationshintergrunds mehrfach diskriminiert. In einigen Ländern verbieten Gesetze religiöse Kleidung, was sich überproportional auf Frauen auswirkt, die den Hijab tragen.“ (Hafez, 2020). Die Forscherin Soliman beobachtet, dass muslimisch gelesene Frauen häufiger Opfer von antimuslimischen Hassstraftaten sind als Männer (Soliman, 2016). Dabei ist nicht nur die Quantität dieser Hassstraftaten fataler für Frauen, sondern auch die Qualität. Die Ergebnisse der Untersuchung schlussfolgern, dass verbale und körperliche Angriffe in den letzten Jahren aggressiver, direkter, bedrohlicher und zerstörerischer geworden sind (Soliman, 2016). Die Bundesregierung verkündete in der Drucksache 2019, dass 76% der verbalen und körperlichen Gewaltdiskriminierung im Bereich Öffentlichkeit und Freizeit gegen Frauen gerichtet ist, die ein Kopftuch tragen. (Drucksache 19/11240). Physische und verbale Gewalt sind jedoch nicht die einzigen Gefahren denen muslimische Frauen und denen die als solche wahrgenommen werden ausgesetzt sind. „Die Forschung weist darauf hin, dass mehrere Faktoren, die das Risiko für erlebte sexuelle Gewalt erhöhen, migrantische und/oder rassifizierte Frauen unverhältnismäßig stark betreffen, wie z. B. Armut. Außerdem tragen die Faktoren zur sexuellen Verwundbarkeit der Betroffenen bei (Tillman et al., 2010).

Ein weiterer Faktor, welcher die marginalisierte Position muslimischer Frauen widerspiegelt, ist der Arbeitsmarkt. Auffällig sind sektorspezifische Muster in denen muslimische Frauen in gering anerkannten Berufen überrepräsentiert sind, während ihre Präsenz in hochqualifizierten und respektierten Berufsfeldern fehlt. Wenn Migrantinnen der ersten Generation Abschlüsse und Karrieren aus ihren Herkunftsländern vorzeigen, werden diese in Deutschland häufig nicht anerkannt. Des Weiteren wird von vielen Frauen neben der Arbeit erwartet, dass sie alleine sich um das Wohlbefinden der Familie umsorgen, eine unterschätzte und unbezahlte Arbeit.

Zahlreiche Studien belegen immer wieder, dass muslimisch gelesene Menschen erschwerte Chancen im Schulsystem (Bonefeld & Dickhäuser, 2017) und auf dem Arbeitsmarkt (Soliman, 2016) haben. Eine Studie der Universität Linz ergab, dass im Vergleich zu muslimisch gelesenen Männern, Frauen mit Kopftüchern eine 4-fach schlechtere Chance hatten, überhaupt erst für ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, unabhängig von ihren Qualifikationen.

Die Realität muslimsicher Frauen ist geprägt von Diskriminierungserfahrungen. Gleichzeitig finden sie zu häufig keine Solidarität in migrantischen und anti-rassistischen Räumen durch die männlich-dominierten Strukturen. Andererseits sind sie weiterhin unsichtbar für feministische Gruppen, die für sie sprechen und die Kämpfe muslimischer Frauen für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren. Eine weitere Gefahr ist der Mangel an Forschung und Wissen. Studien, welche intersektional die Realitäten muslimischer Frauen untersuchen sind eine Seltenheit in Deutschland. „Um jedoch konkrete Aussagen über die Gefährdungen von [muslimischen Frauen] treffen zu können, muss intersektionales Denken stärker in gesellschaftliche Auseinandersetzung integriert werden.“ (Zaman, Noori, 2024). Letztlich muss festgehalten werden, dass der gesetzte Fokus auf das Geschlecht, nicht die einzige Diskriminierungsform ist, welche sich mit antimuslimischem Rassismus überschneidet und deshalb sollte sie auch nicht die einzige Form sein, die untersucht wird. Eine intersektionale Analyse bezieht weitere Marginalisierungen wie beispielsweise, Geschlechtsidentität, körperliches Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Muttersprache, Klasse, Staatsbürgerschaft und Rasse mit ein.

Dunja Noori (Initiative: BiPoC+ Feminismen* Tübingen)
01.08.2024

Literatur