Antiziganismus
Abstract: Antiziganismus ist eine besondere Form von Hass auf eine Menschengruppe. Bei Antiziganismus hat man etwas gegen Menschen, die Roma oder Sinti sind. Heute gilt der Begriff auch für andere Gruppen, z.B. Jenische, Reisende, Schausteller*innen oder auch fahrende Händler*innen. Diese unterschiedlichen Menschen werden dabei als eine Gruppe von Menschen zusammengefasst. Ihnen werden als Gruppe Eigenschaften zugeschrieben, die für alle Menschen in der Gruppe gelten. Zum Beispiel sagt man, diese Gruppe würde stehlen, hätten keinen festen Wohnsitz und würde keine Steuern zahlen. Über Kinder und Jugendliche sagt man z.B., dass sie schlechter in der Schule seien. Oft führen diese Vorurteile zu Diskriminierung und Rassismus.
Antiziganismus beschreibt die gesellschaftlich überlieferte Wahrnehmung von Menschen, die als sogenannte „Zigeuner“ konstruiert, stigmatisiert und verfolgt wurden und werden. Er richtet sich gegen Sinti und Roma, Jenische oder auch Reisende, Schausteller*innen oder fahrende Händler*innen etc. Es ist also durchaus auch für Nicht-Angehörige der Sinti- oder Roma-Communities möglich, Antiziganismus zu erfahren. Sinti und Roma sind als größte Minderheit Europas allerdings die am stärksten von Antiziganismus betroffene Gruppe.
Antiziganismus lebt von stereotypen Zuschreibungen, die pauschal auf Menschen angewendet werden, deren Lebensweise entweder nicht der jeweiligen „Norm“ entspricht oder deren Herkunft als Sinti, Roma oder Jenische Grund genug ist, diese als “Zigeuner” zu labeln. Beispiele dafür sind unter anderem die Behauptung, alle Angehörigen dieser Minderheit würden stehlen, hätten keinen festen Wohnsitz, müssten keine Steuern zahlen etc. Diese Vorurteile sind über Jahrhunderte gewachsen, bereits Martin Luther verbreitete z.B. neben antisemitischen auch antiziganistische Verschwörungstheorien.
Die Mehrheitsgesellschaft konstruiert gewisse Minderheiten und Personengruppen als Feindbilder, die als Sündenböcke fungieren und somit als Ventil für die eigene und kollektive Unzufriedenheit dienen, an denen man sich „abreagieren“ kann. Zudem dienen solche Feindbilder – und hier Antiziganismus – dazu, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu festigen und zu reproduzieren. Die Dominanzkultur nutzt z.B. Antiziganismus, um Hierarchien aufrecht zu erhalten, Menschen bzw. Personengruppen kollektiv auszuschließen, ihnen den Zugang zu gleichberechtigter Teilhabe zu erschweren und somit Privilegien für sich zu behalten. Besonders im Bildungsbereich haben antiziganistische Vorurteile nach wie vor massive Auswirkungen auf Schüler*innen: Bislang hält sich z.B. das pseudowissenschaftliche Vorurteil hartnäckig, Sinti und Roma seien weniger lernfähig als Kinder und Jugendliche der Dominanzgesellschaft. Ein Grund hierfür kann sein, dass auch Lehrer*innen oftmals selbst antiziganistisch sozialisiert sind. Deshalb ist es wichtig, Formen von Antiziganismus zu erkennen und zu benennen. Um dies zu erleichtern, orientiert sich die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (kurz MIA) an verschiedenen Erscheinungsformen:
- Bürgerlicher Antiziganismus bezieht sich auf die „Norm“, die von der Dominanzgesellschaft vorgegeben wird, und alles, was davon abweicht, wird verurteilt.
- NS-bezogener Antiziganismus relativiert und/ oder glorifiziert Naziverbrechen an allen Personen, die als sogenannte „Zigeuner“ verfolgt und ermordet wurden. Dies waren z.B. Sinti, Roma und Jenische
- antiziganistisches „Othering“ dient der eigenen Aufwertung, indem eine Fremdgruppe konstruiert wird, die im Kontrast zu einer Wir-Gruppe steht.
- migrationsbezogener Antiziganismus zielt auf unerwünschte Migration ab, die auch als „Armutszuwanderung“ diffamiert wird.
Da Antiziganismus nicht nur Sinti oder Roma betrifft, sondern auch ethnisch weiße Menschen, muss man zwischen Antiziganismus und Rassismus gegen Sinti und Roma unterscheiden. Antiziganismus nährt und befähigt Rassismus, den Sinti und Roma erfahren, da die Stereotype als Rechtfertigung dienen, um rassistische Aussagen zu tätigen, Menschen körperlich anzugreifen usw.
03.09.2024
Esther Reinhardt-Bendel
Literatur
- Melde-und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) (Jahr): Arbeitsweisen. Online unter https://www.antiziganismus-melden.de/, 01.10.2024.
- International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) (Jahr): Arbeitsdefinition Antiziganismus. Online unter https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-von-antiziganismus, 01.10.2024.