Cis/Cisgender

Cisgender ist der Gegenbegriff zu Transgender/Transidentität bzw. cis zu trans*. Trans (lateinisch) bedeutet „über/hinaus/jenseits“ und bezeichnet im Kontext einer zweigeschlechtlichen Logik das Überschreiten der Geschlechtergrenzen, also z.B. von Mann zu Frau. Cis (lateinisch) hingegen bedeutet „auf dieser Seite/diesseits“. In Kombination mit Gender (englisch für soziales Geschlecht oder Geschlechtsidentität) beschreibt Cisgender oder kurz „cis“ dann Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Sie bleiben also auf derselben Seite der Geschlechtergrenze, z.B. eine Person wird bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesen und identifiziert sich später auch als Mädchen/Frau. In Ergänzung wurde noch der Begriff „endogeschlechtlich“ oder kurz „endo“ geprägt, der Menschen bezeichnet, deren Körper bei der Geburt einer der Normvarianten männlich oder weiblich entspricht. Diese Begriffe haben die älteren Begriffe „Biofrau“ oder „Biomann“ abgelöst. Letztere sollten deutlich machen, dass die Rede von Menschen ist, deren biologisches Geschlecht weiblich bzw. männlich ist und implizit, dass diese sich auch entsprechend identifizieren. Cis hingegen macht explizit das Verhältnis vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und Identität zum Thema und ist somit genauer. Außerdem hatten die Begriffe „Biofrau“ und „Biomann“ den Nachteil, dass sie so klingen, als seien nur endo und cis Personen biologisch bzw. natürlich und andere Formen irgendwie künstlich oder gar unnatürlich.

Begriffe wie Transgender, Transidentität oder noch ältere Begriffe wie Transvestit oder Transsexualität entstanden historisch zuerst, weil Transidentitäten als Abweichung von der Norm verstanden wurden, z.B. als Besonderheit, als Diagnose, als Störung usw., in jedem Fall aber als erklärungsbedürftig. Diese sogenannten Abweichungen von der Norm wurden mit besonderen Begriffen hervorgehoben. Cis Personen waren hingegen einfach Menschen bzw. der nicht erklärungsbedürftige Standard oder Maßstab einer geschlechtskonformen oder „normalen“ Entwicklung. Das selbstverständliche Gleichsetzen von „Mann“ mit cis Mann und „Frau“ mit cis Frau hat also den Effekt, dass diese als „natürlich“ erscheinen und alle anderen, trans* Identitäten, als „abweichend“. Um auch die der Norm entsprechenden Identitäten sowie die damit einhergehenden Privilegien sichtbar machen zu können, ist daher der Begriff cisgender, eingeführt worden. Heute wird er teilweise von cis Menschen auch als Selbstbezeichnung verwendet, um die eigene gesellschaftliche Position einer Reflexion zugänglich zu machen.

In der Kritik steht der cisgender Begriff u.a., weil er innerhalb der zweigeschlechtlichen Logik verbleibt, indem er suggeriert, dass alle Menschen eindeutig entweder als trans* oder cis kategorisiert werden können. Der Begriff beschreibt nur zwei Möglichkeiten des Verhältnisses zwischen Körper und Identität: cis/trans* und setzt implizit nur zwei biologische Geschlechter als Ausgangspunkt voraus. Intergeschlechtlichkeit passt nicht in dieses Raster, da intergeschlechtliche Personen bereits auf der Ebene des biologischen Geschlechts aus dem Zweigeschlechtermodell fallen. Eine andere Kritik an der Verwendung von cis als Beschreibung von Menschen verweist darauf, dass es von außen nicht objektiv feststellbar ist, ob eine Person cis oder trans* ist (man kann es einer Person z.B. nicht unbedingt ansehen, dass sie trans* ist). Eine trans* Person, die im Alltag als eine cis Person wahrgenommen wird, hätte somit teilweise auch dieselben Privilegien wie cis Personen. Fraglich ist auch, wie eng die Definition von „cis“ ist: ist jede Person, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifiziert, deswegen auch vollkommen geschlechterkonform oder gibt es nicht auch eine große Vielfalt unter cis Personen und somit auch cis Personen, die ihr Geschlecht so ausdrücken, dass sie deswegen „anecken“ und Sanktionen erfahren (wie z.B. manche Butches). Ggf. macht es vor dem Hintergrund mehr Sinn, cisgender als ein Ideal zu verstehen, dem auch viele cis Personen nicht entsprechen können, vor allem aus einer intersektionalen Perspektive heraus, die die Effekte von Rassismus, Ableismus usw. mitberücksichtigt.

Menschen mit Behinderungen werden z.B. häufig (zu Unrecht) unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität als geschlechtslose Wesen angesehen. Von daher ist fraglich, inwiefern sie von Cisgender-Privilegien profitieren. Behinderung scheint nach wie vor eine so wirkungsmächtige gesellschaftliche Zuschreibung zu sein, dass sie andere Kategorien von Vielfalt/Verschiedenheit mehr oder weniger „aushebelt“ bzw. die Art und Weise, wie Menschen mit Behinderung im Vergleich zu anderen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität gesellschaftlich wahrgenommen werden, stark beeinflusst.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • Baumgartinger, Persson Perry (2017): Trans Studies. Wien: Zaglossus.
  • Enke, Finn A. (2013): The Education of Little Cis. Cisgender and the Discipline of Opposing Bodies. In: Stryker, Susan & Aren Z. Aizura (Hrsg.): The Transgender Studies Reader 2. New York/London: Routledge, S. 234-247.
  • Enke, Finn (2021): Cisgender as a Term. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 117-118.
  • Faulenza (2017): Support your Sisters not your Cisters. Über Diskriminierung von Trans*Weiblichkeiten. Münster: edition assemblage.
  • Mistler, Brian J. (2014): Cisgenderism. In: TSQ 1. Jg., H. 1-2, S. 63-64.
  • Sigusch, Volkmar (2015): #42 Zissexuelle und ihre Abwehr. In: Ders., Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten. Frankfurt/Main: Campus, 2. Auflage, S. 244-247.