Cisgenderismus/Cisnormativität

Cisgenderismus ist eine Wortschöpfung aus dem Begriff „cisgender“ und -ismus und beschreibt analog zu anderen Begriffen mit der Endung -ismus (wie Rassismus, Ableismus usw.) eine Gesellschaftsstruktur, die bestimmte Formen der Geschlechtsidentität systematisch benachteiligt, diskriminiert, ausschließt usw. Cisgenderismus beruht auf der cisnormativen Annahme, dass nur Geschlechtsidentitäten „natürlich“, „normal“, „gesund“ usw. seien, die dem der Geburt zugewiesenen Geschlecht entsprechen. Dabei gibt es im engeren Sinne aus der Sicht der Norm nur zwei Möglichkeiten: Bei der Geburt als „männlich“ klassifizierte Säuglinge entwickeln eine männliche Geschlechtsidentität und bei der, der Geburt als „weiblich“ klassifizierte Säuglinge entwickeln eine weibliche Geschlechtsidentität. Da sich Cisnormativität mit Endonormativität verknüpft, kommen inter* Körper in dieser Logik ursprünglich nicht vor, was sich erst langsam ändert. Alle anderen Geschlechtsidentitäten gelten als „Abweichung“ von dieser Norm und werden pathologisiert. Aus dieser Grundannahme folgen weitere unhinterfragte Annahmen, u.a. dass es nur zwei Geschlechtsidentitäten gibt (männlich/weiblich), dass jede Person jederzeit auch nur genau eine, eindeutige, klar abgrenzbare Geschlechtsidentität hat, dass sich die Geschlechtsidentität im Laufe des Lebens nicht ändern kann, dass die Geschlechtsidentität auch auf bestimmte, normkonforme Arten ausgedrückt werden sollte (z.B.: Männer müssen auch stereotyp männlich sein, usw.) Ein wesentliches Element von Cisnormativität ist zudem die Vorstellung, dass die Geschlechtsidentität einer Person objektiv anhand des äußeren Erscheinungsbilds erkennbar ist, was zu Misgendering führen kann. Auch die Idee, dass alle Menschen in die Kategorien trans* oder cis passen müssten, ist bereits eine cisnormative Vorstellung, die der Komplexität menschlicher Erfahrung nicht entspricht. Cisnormativität schränkt die freie Entfaltung aller Menschen ein, sie hat aber besonders negative Auswirkungen auf TIN* Personen, vor allem, wenn sie als solche auch wahrgenommen werden, in Form von Pathologisierung, Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung sowie Gewaltverbrechen. Im Gegensatz zu Begriffen wie Transphobie, die nahelegen, dass es bei der Diskriminierung von trans* Personen lediglich um individuelle transfeindliche Einstellungen von Individuen gehe, machen die Begriffe Cisgenderismus und Cisnormativität deutlich, dass es um tief in der Gesellschaft verankerte, institutionalisierte Normen geht. Das zeigt sich z.B. in alltäglichen Praxen und Institutionen, die Menschen nach Jungen/Mädchen oder Männer/Frauen aufteilen, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt.

Cisnormativität und Cisgenderismus sind historisch und kulturell spezifisch, da es in zahlreichen Kulturen andere Vorstellungen gab und gibt, die z.B. von mehr als zwei Geschlechtern ausgehen, die die Geschlechtsrolle und/oder Identität nicht zwangsläufig an das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht knüpfen usw.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • Ansara, Y. Gavriel/Berger, Israel (2021a): Cisgenderism. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 119-121.
  • Ansara, Y. Gavriel/Berger, Israel (2021b): Cisnormativity. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 122-125.
  • Ewert, Felicia (2020): Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung. Münster: edition assemblage.
  • Mistler, Brian J./Lennon, Erica (2014): Cisgenderism. In: TSQ 1. Jg., H. 1-2, S. 63-64.