Divers
In Deutschland ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass in die Geburtsurkunde ein Geschlecht eingetragen wird, der sogenannte Personenstand. Lange Zeit gab es nur die beiden Optionen „weiblich“ und „männlich“. Seit 2013 war es möglich, den Eintrag bei intergeschlechtlich geborenen Kindern offen zu lassen. 2018 wurde eine dritte Option eingeführt. Seitdem ist auch ein Eintrag des Geschlechts als „divers“ nach PStG §45b „Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ möglich.
Hintergrund dieser Gesetzesreform war eine Klage einer intergeschlechtlichen Person, die bis vor das Bundesverfassungsgericht ging. Der*die Kläger*in argumentierte u.a., dass ein fehlender Geschlechtseintrag – die bis dato einzige Möglichkeit, einen Eintrag als männlich oder weiblich zu vermeiden – unterstellt, dass die betreffende Person kein Geschlecht habe. Der*die Kläger*in argumentierte hingegen, dass intergeschlechtliche Personen durchaus ein Geschlecht haben, auch wenn es weder männlich noch weiblich ist. Das Bundesverfassungsgericht gab dem*der Kläger*in recht, indem es urteilte, dass wenn der Gesetzgeber auf einem rechtlichen Geschlechtseintrag besteht und es mehr als zwei (biologische) Geschlechter gibt, der Gesetzgeber dann auch mehr als zwei Optionen zur Verfügung stellen muss. Alternativ wäre nach dem Bundesverfassungsgericht auch die Abschaffung des Personenstands eine praktikable Lösung gewesen. Der Hintergrund der Klage war vor allem, eine Grundlage für die Wahrung der körperlichen Integrität von intergeschlechtlichen, nicht zustimmungsfähigen Kindern zu schaffen, also perspektivisch ein Verbot für alle kosmetischen, nicht medizinisch notwendigen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern zu bewirken. Ein solches „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ wurde 2021 verabschiedet (§ 1631e BGB), jedoch u.a. von Vereinigungen intergeschlechtlicher Menschen sowie vom Deutschen Institut für Menschenrechte als unzulänglich kritisiert.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts äußerten sich sowohl intergeschlechtliche als auch transgeschlechtliche Selbstvertretungsorganisationen mit Vorschlägen oder Forderungen zur konkreten Umsetzung des Urteils, die allesamt die Selbstbestimmung beider Gruppen zum Ziel hatten. Vorschläge waren u.a. die Abschaffung des Personenstands oder alternativ keine Bezeichnung der dritten Option vorzuschreiben, sondern jeder Person selbst zu überlassen, welche konkrete Geschlechtsbezeichnung eingetragen wird (z.B. inter*, genderqueer, Transmann usw.). Der Gesetzgeber jedoch entschied sich für einen anderen Weg und bezog Interessensvertretungen der betroffenen Gruppen nicht in die Entscheidungsfindung mit ein. Die Gesetzesänderung von 2018 war im Gegenteil gerade darauf angelegt, geschlechtliche Selbstbestimmung weiterhin zu unterbinden. So mussten Antragsteller*innen für die Beantragung des Geschlechtseintrags „divers“ nach PStG §45b Abs. 3 beim Standesamt ein ärztliches Attest vorlegen, das bestätigte, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. In Fällen, in denen keine Unterlagen über medizinische Behandlungen vorliegen und die Variante nur noch durch eine „unzumutbare Untersuchung“ nachweisbar wäre, konnten Antragsteller*innen ihren Status auch eidesstattlich versichern. Aus dem Gesetzestext geht somit indirekt hervor, dass diese dritte Option für intergeschlechtliche Menschen eingeführt wurde und für einen entsprechenden Eintrag das Vorliegen einer sog. Intersexualität prinzipiell medizinisch nachweisbar sein muss. Die Autorität und Definitionsmacht über Geschlecht verbleibt so bei der Medizin als Institution.
Seit 2024 steht allen TIN* Personen nun aufgrund des sog. Selbstbestimmungsgesetz ein vereinfachter Weg offen, den Geschlechtseintrag „divers“ eintragen zu lassen, basierend auf einer Selbstauskunft anstelle von Gutachten oder medizinischer Atteste.
2024
Robin Bauer
Literatur
- Bundesverband Trans* (2024): Leitfaden Selbstbestimmungsgesetz. Informationen zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen nach dem SBGG. Berlin. https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2025/02/BVT-Leitfaden-SBGG.pdf, 25.02.2025.
- BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16-, Rn. 1-69, https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20171010_1bvr201916.html, 11.11.2021.
- Deutsches Institut für Menschenrechte (2021): Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. https://www.bundestag.de/resource/blob/816910/9ef1eb47e5d5954c6164ee9dec3a3bb8/stellungnahme-kittel_dim-data.pdf, 11.11.2021.
- Groß, Melanie/Niedenthal, Katrin (Hrsg.) (2021): Geschlecht: divers. Die „Dritte Option“ im Personenstandsgesetz – Perspektiven für die Soziale Arbeit. Bielefeld: transcript.
- Intersexuelle Menschen e.V. (2020): Stellungnahme zum weiteren Gesetzgebungsverfahren eines „Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“. https://im-ev.de/pdf/2020-12-02-Stellungnahme-zum-weiteren-Gesetzgebungsverfahren.pdf, 11.11.2021.
- OII Germany (2018): Geschlechtseintrag „Weiteres“ ist kontraproduktiv. https://oiigermany.org/geschlechtseintrag-weiteres-ist-kontraproduktiv/ 11.11.2021.
- OII Germany (2020): Stellungnahme IVIM – OII Germany zum Gesetzentwurf der Bundesregierung “Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” vom 23.09.2020. https://oiigermany.org/wp-content/uploads/2020/11/Stellungnahme-OII-Germany-Nov-2020_.pdf, 11.11.2021.