Endo und Endonormativität

Die Begriffe „endogeschlechtlich“, „endosexuell“ oder kurz „endo“ bezeichnen Körper, die Merkmale aufweisen, die den medizinischen Normen für einen Männer- oder Frauenkörper entsprechen bzw. Personen, die mit einem solchen Körper geboren wurden. Endogeschlechtliche Körper werden also trotz der großen Variation in Bezug auf Geschlechtsmerkmale so eingeschätzt, dass sie sich noch innerhalb dessen bewegen, was als „eindeutig weiblicher“ bzw. „eindeutig männlicher“ Körper zählt. Der Begriff ist somit das Gegenstück zu „inter*“ oder „intergeschlechtlich“ (bzw. dem medizinischen Begriff „intersexuell“. Intergeschlechtliche Körper werden im Gegensatz zu endogeschlechtlichen als nicht „eindeutig weiblich“ /„eindeutig männlich“ kategorisiert bzw. als nicht „typisch männlich“ / „typisch weiblich“ und waren bzw. sind noch immer Gegenstand medizinischer Zwangsmaßnahmen, mit dem Ziel, sie zu „vereindeutigen“.

Endo Personen können cis sein, in dem Fall entspricht ihre Geschlechtsidentität aus der Sicht der Norm dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Also z.B. eine Person, deren Körper bei der Geburt als „weiblich“ klassifiziert wurde, entwickelt auch eine Geschlechtsidentität als Frau. Endo Personen können aber auch eine Transidentität entwickeln, dann identifizieren sie sich nicht oder nicht vollständig mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.

Somit gibt es die Begriffspaare „endo-inter“ und „cis-trans“, um jeweils die gesellschaftliche Norm (endo bzw. cis) sichtbar und damit überhaupt thematisierbar und kritisierbar zu machen. Wenn z.B. die Rede von Männern oder Frauen ist, sind damit im alltäglichen Sprachgebrauch häufig nur endo-cis-Männer bzw. endo-cis-Frauen gemeint und werden so als Standard gesetzt und umgangssprachlich als „normal“. Diese jedoch wie im letzten Satz zu benennen, bricht mit dieser Normalität und macht es überhaupt erst denkbar, dass es auch andere Arten von Männern und Frauen und darüber hinaus auch weitere Geschlechter geben könnte und tatsächlich gibt. Vor diesem Hintergrund kann der Begriff der Endogeschlechtlichkeit zur Entstigmatisierung und Entpathologisierung von inter* Körpern und Personen beitragen.

Als endonormativ gilt dementsprechend eine Gesellschaft, die bestimmte Körper (endogeschlechtliche) als Standard festlegt und alle anderen (die große Vielfalt an intergeschlechtlichen Körpern) erstens als Abweichung pathologisiert und zweitens deren (Zwangs-)Anpassung an die Norm durch medizinische Eingriffe institutionalisiert hat.  Endonormativität ist insofern ein historisch eher junges Phänomen, als dass das Normieren der Körper erst durch medizinische „Fortschritte“ in dem Gebiet der Endokrinologie und Chirurgie machbar wurde. Wichtig ist festzuhalten, dass sich dabei an einem abstrakten endogeschlechtlichen Idealzustand von Körpern orientiert wird. In der Realität sind die Körper bezogen auf ihre Geschlechtsmerkmale auch innerhalb der Kategorie „endo“ sehr vielfältig. Die Grenzziehung zwischen „endo“ und „inter“ ist nicht von der Natur vorgegeben, sondern beruht auf von Menschen gemachten biologisch-medizinischen Kriterien zur Ordnung von Körpern. Das zeigt sich auch deutlich daran, dass intergeschlechtliche Körper überwiegend nicht behandlungsbedürftig sind, sondern die medizinischen Eingriffe rein kosmetische Funktionen haben.

Eine endonormative Kultur setzt unausgesprochen endogeschlechtliche Körper und Existenzweisen als Standard, beispielsweise indem nur diese Körper in Materialien für die Medizin, für sexuelle Bildung usw. dargestellt werden und inter* Körper nur dann auftauchen, wenn es um „krankhafte Abweichungen“ geht. Auch in der Gesundheitsversorgung wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass man es mit endo Körpern zu tun hat. Am drastischsten zeigen sich die Folgen von Endonormativität jedoch darin, dass inter* Menschen Menschenrechte wie das auf körperliche Unversehrtheit oder Reproduktion(sfähigkeit) abgesprochen wurden und teilweise noch immer werden, weil das Ziel, sie an endo-Norm-Körper anzupassen dem übergeordnet wird. Hier zeigen sich Parallelen zu ableistischen Körpernormen, die Menschen mit Behinderungen ebenfalls solche grundlegende Rechte verweigern. Auch von selektiven Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund von Pränataldiagnostik sind beide Gruppen betroffen. Die inter* Bewegung hat erreicht, dass die Endonorm langsam infrage gestellt wird. So trat 2021 das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ in Kraft, das inter* Kinder vor unnötigen Eingriffen im nicht zustimmungsfähigen Alter schützen soll. Trotz aller Unzulänglichkeiten des Gesetzes ist es ein Schritt in Richtung einer Entpathologisierung von inter* Körpern und damit auch eine Infragestellung der endonormativen Annahme, dass nur endo Körper normal, natürlich oder schützenswert wären.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • Carpenter, Morgan, Dalke, Katharine, & Earp, Brian D. (2023): Endosex. In: Journal of Medical Ethics, 49. Jg., H. 3, S. 225–226. doi: 10.1136/medethics-2022-108317.
  • Gregor, Joris Atte (2015): Constructing intersex. Intergeschlechtlichkeit als soziale Kategorie. Bielefeld: transcript.
  • Holmes, Morgan (Hrsg.) (2009): Critical Intersex. Farnham: Ashgate.