Gastarbeiter

Glossarbeitrag: Gastarbeiter

Der Begriff Gastarbeiter*in bezeichnet eine Person, die vorübergehend in ein anderes Land zieht, um dort zu arbeiten. Der Begriff hat seinen Ursprung in den Arbeitsmigrationen des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Europa, und beschreibt meist Arbeiter*innen, die nicht in ihrem Herkunftsland verbleiben, sondern für eine bestimmte Zeit in einem Gastland beschäftigt sind.

In Deutschland wird der Begriff Gastarbeiter für die ausländischen Arbeitskräfte, die in den 1950er bis 1970er Jahren auf Grundlage von bilateralen Anwerbeabkommen nach Deutschland und andere europäische Länder kamen, um dort für ursprünglich einen begrenzten Zeitraum zu arbeiten. Diese Verträge und Abkommen zwischen Staaten regelten das Arbeits- und Aufenthaltsrecht der zugewanderten Menschen. Diese Arbeitskräfte wurden hauptsächlich aus süd- und südosteuropäischen Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland, Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien angeworben. Sie dienten dazu dem steigenden Arbeitskräftebedarf in der schnell wachsenden Industrie zu decken.

Geschichte und Entwicklung

Die Geschichte der Gastarbeitermigration ist eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts verbunden. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg benötigten viele europäische Länder Arbeitskräfte, um den Wiederaufbau voranzutreiben und das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Diese Nachfrage führte zu bilateralen Abkommen zwischen Ländern, die Gastarbeiter*innen zur Arbeit einluden. Ein bekanntes Beispiel ist das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei von 1961, das die Grundlage für die Anwerbung türkischer Gastarbeiter in Deutschland bildete.  Das erste geschlossene Abkommen, dass die legale Einreise von Arbeitskräften in die Bundesrepublik regeln sollte wurde 1955 mit Italien geschlossen.

Lebensbedingungen und Integration

Die Lebensbedingungen der Gastarbeiter*innen waren von starken Herausforderungen gekennzeichnet und variierten stark. Viele Gastarbeiter*innen lebten unter prekären Bedingungen und waren in oftmals schlecht bezahlten und anstrengenden Arbeitsplätzen beschäftigt. Die Unterbringung erfolgte häufig in kollektiv genutzten Wohnheimen oder speziellen Arbeiterquartieren. Zudem standen sie vor der Herausforderung, sich in einer neuen Kultur und Gesellschaft zurechtzufinden.

Die Integration der Gastarbeiter*innen in die Gesellschaft des Gastlandes hatte viele Hürden. Darunter sind die Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und soziale Isolation zu nennen, die dazu beitrugen, dass sich viele Gastarbeiter*innen und ihre Familien nur schwer in die Gesellschaft eingliedern konnten. Anzumerken ist, dass diese Eingliederung in die Gesellschaft politisch und gesellschaftlich nicht aktiv vom Anwerberland vorangetrieben wurde – zumindest nicht in den Anfängen der Zeiten der Anwerberabkommens. Mehr noch wurde die Integration der Gastarbeiter*innen in die westdeutsche Gesellschaft durch eine Kombination aus staatlichen Politiken, die sie als vorübergehende Arbeitskräfte betrachteten, sozialen Vorurteilen und kulturellen Barrieren stark behindert. Sie kennzeichneten Gastarbeiter*innen wie R. Chin in  The Guest Worker Question in Postwar Germany  beschreibt als Außenseiter der Gesellschaft. Trotz ihrer langfristigen Präsenz blieben viele Gastarbeiter*innen demnach sowohl wirtschaftlich als auch sozial marginalisiert.

Zudem erschwerten strukturelle und gesellschaftliche Barrieren den Zugang zum Bildungssystem und die Teilhabe an wichtigen gesellschaftlichen Ressourcen für die Gastarbeitenden als auch ihre Nachkommen. Dieser Teufelskreis von sozialer und ökonomischer Benachteiligung stellen Hürden dar für viele der betroffenen Familien.

Dennoch ist zu nennen, dass Integration von Gastarbeiter*innen in die Gesellschaft und die Betriebe ein zentraler Bestandteil gewerkschaftlicher Arbeit seit den 1970er Jahren war. Was zunächst als reine Arbeitsmigration begann, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Prozess, in dem aus den Gastarbeiter*innen akzeptierte Kolleg*innen wurden. Gewerkschaften wie IG Metall und IG Chemie setzten sich verstärkt für die Einbindung von Migrant*innen ein, während die Integration in betriebliche Strukturen und Stadtteile zunehmend voranschritt. Dabei spielte auch der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eine wichtige Rolle.

Diskriminierende Vorurteile und Strukturelle Benachteiligung

Die Anwerbung von Gastarbeitenden hatte bedeutende politische und gesellschaftliche Auswirkungen. In vielen Gastländern führte die Präsenz von Gastarbeitenden zu einer Neubewertung der Migrations- und Integrationspolitik. Die Diskussionen um die Integration und die gesellschaftliche Teilhabe von Migrant*innen wurden verstärkt zu politischen Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur Bekämpfung von Diskriminierung führte.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Gastarbeiter*innen war jedoch oft ambivalent. Während Gastarbeitende als notwendig für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wurden, gab es auch Spannungen und Vorurteile ihnen gegenüber. Diese Spannungen führten nicht selten zu sozialen Konflikten und politischen Debatten über Migration und Integration.

Ulrich Herberts thematisiert in „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge“ (2001) die Wahrnehmung der Gastarbeiter*innen als temporäre Arbeitskräfte in der deutschen Migrationspolitik der Nachkriegszeit. Diese Wahrnehmung habe zu einer verfestigten Abgrenzungspolitik geführt, die ihre rechtliche Stellung und langfristige Integration erschwerte. Gesellschaftlich wurden nach Herberts Gastarbeiter*innen oft als minderwertige Arbeitskräfte angesehen, was zu sozialer Segregation, Stigmatisierung und verstärkten Vorurteilen führte und ihre vollständige Integration in die Gesellschaft hemmte.

Die kurzfristige Nutzung der Migrant*innen als günstige Arbeitskräfte und das gleichzeitige Ignorieren langfristiger Integrationsbedürfnisses trug dazu bei, dass notwenige Schritte zur Integration ausblieben und rassistische und diskriminierende Strukturen sich weiter verfestigen konnten.

Heutige Perspektive

Viele Gastarbeiter*innen, die ursprünglich nur vorübergehend in einem Gastland bleiben sollten, haben sich langfristig niedergelassen und sind ein fester Bestandteil der Gesellschaft geworden. Nachkommen der Gastarbeiter*innen haben zunehmend zur gesellschaftlichen Diversität beigetragen und beeinflussen die kulturelle und soziale Landschaft der ehemals Gastländer.

Sie und Ihre Nachkommen haben es auf verschiedene Weisen geschafft, sich erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren und strukturelle Hürden zu überwinden. Bildung spielte dabei eine zentrale Rolle, da viele Gastarbeiternachkommen durch akademische Erfolge und berufliche Qualifikationen ihre soziale Mobilität verbessern konnten. Neben der Bildung haben sie auch bedeutende Netzwerke aufgebaut, die ihnen den Zugang zu beruflichen und sozialen Möglichkeiten erleichterten. Ihr Engagement in sozialen Bewegungen und politischen Initiativen hat zur Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung beigetragen. Diese Aspekte zusammen zeigen, wie wichtig Bildung, berufliche Integration und gesellschaftliches Engagement für die erfolgreiche Überwindung von Vorurteilen und strukturellen Hürden sind.

Einige Nachkommen von Gastarbeitern bieten in ihren literarischen Werken tiefgehende und authentische Perspektiven. Durch ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse als Teil der Gastarbeiternachfolge vermitteln sie wertvolle Einsichten in die komplexen Herausforderungen, die mit Integration und Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen verbunden sind. Ihre Werke behandeln sowohl die individuellen als auch die gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die durch den Migrationsprozess entstehen. Sie reflektieren die kulturellen Konflikte, Identitätskrisen und sozialen Barrieren, die ihre Familien und Gemeinschaften auferlegt wurden, und tragen so zu einem besseren Verständnis der langfristigen Auswirkungen der Migration auf die nachfolgenden Generationen bei.

Die Frage der Integration und der sozialen Teilhabe bleibt auch heute relevant. Die Herausforderungen der Integration und die Notwendigkeit, eine inklusive Gesellschaft zu fördern, stehen nach wie vor im Mittelpunkt der politischen und sozialen Diskussionen in vielen Gastländern.

 

18.09.2024
Ilham Bani Odeh

 

Literaturangaben

  • Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). (2020). Erstes Anwerbeabkommen vor 65 Jahren. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/324552/erstes-anwerbeabkommen-vor-65-jahren/, 18.09.2024.
  • Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). (2016). Zwischen Misstrauen und Integration. https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/232789/zwischen-misstrauen-und-integration/, 18.09.2024.
  • Castles, S., & Miller, M. J. (2009). The Age of Migration: International Population Movements in the Modern World. 4. Aufl. New York: Guilford Press.

 

  • Chin, R. (2007). The Guest Worker Question in Postwar Germany. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Günes, M. (2015). Erfolg durch Bildung: Die Integration von Gastarbeiternachkommen in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS.
  • Joppke, C. (2007). Migration and Integration: The European Experience. Cambridge: Polity Press.
  • Karakaşoğlu, Y. (2002). Gastarbeiter: Migration und Integration in der Bundesrepublik Deutschland. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
  • Karakaşoğlu, Y., & Neusel, A. (Hrsg.). (2005). Integration durch Bildung: Bildungspolitik und Bildungsstrategien von Migranten in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Kivisto, P. (2001). Theories of Immigration: A Critical Review. Oxford: Oxford University Press.
  • Lutz, H. (2016). Migration and Diversity: Concepts and Theories. London: Routledge.
  • Münz, R., & Ulrich, R. (2008). Migrationspolitik und Integration: Erfahrungen und Perspektiven. Wiesbaden: Springer.
  • Moussa, A. (2020). Integration und Teilhabe von Gastarbeiternachkommen: Herausforderungen und Lösungsansätze. Frankfurt am Main: Verlag für interkulturelle Studien.
  • OECD (2020). International Migration Outlook 2020. Paris: OECD Publishing.