Geschlechterreflektierende Sprache

Sprache ist kein neutrales Mittel zur Kommunikation, sondern Worte und Formulierungen wecken immer auch Bilder und Assoziationen bei den Empfänger*innen. Sprache geht den Individuen voraus, sie werden in eine Kultur mit einer Sprache hineingeboren und sozialisiert, die bestimmte Vorstellungen und Werte vermittelt. Die deutsche Sprache ist z.B. stark zweigeschlechtlich ausgerichtet. Das zeigt sich in Pronomen wie ‚er‘/‘sie‘, aber auch in den Endungen von Substantiven, die das Geschlecht anzeigen, wie ‚Sozialarbeiterin‘ und ‚Sozialarbeiter‘. So vermittelt die Sprache die Idee, es gebe nur zwei Geschlechter: Männer und Frauen und macht TIN* Menschen (sofern sie sich nicht selbst als Männer und Frauen verstehen) unsichtbar. Die Sprachpraxis im Deutschen ist zudem androzentrisch, d.h. männliche Formen werden in der Regel als Standard verwendet, Frauen sollen dann „mitgemeint“ sein, bleiben aber sprachlich unsichtbar, nicht inkludiert. Wenn Menschen sprachlich nicht sichtbar gemacht oder ausgeschlossen werden, hat das Folgen, z.B. dass sie sich von einem Angebot einer Einrichtung nicht angesprochen fühlen und diese ggf. nicht aufsuchen. Umgekehrt kann inklusiver Sprachgebrauch Menschen die Botschaft vermitteln, dass sie willkommen sind und ihre Bedürfnisse mitgedacht werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sowohl Frauen als auch Geschlechtervielfalt jenseits von Mann und Frau sprachlich sichtbar zu machen:

  • Den Gender-Gap/Unterstrich, z.B. Klient_innen. Er geht auf Steffen Kitty Herrmann zurück und soll auch im Schriftbild einen Raum für das ‚dazwischen‘ eröffnen.
  • Der Asterik oder Genderstern, z.B. Sozialarbeiter*innen.
  • Der Doppelpunkt, z.B. Sozialpädagog:innen.

Während diese Varianten sich gut eignen, um Geschlechtervielfalt sichtbar zu machen, können sie gleichzeitig Barrieren für Menschen, die Vorlesegeräte benötigen, mit sich bringen. Als vermeintliche Lösung wurde neuerdings der Doppelpunkt vorgeschlagen, da dieser besser lesbar sei. Das ist jedoch nicht korrekt. Besonders barrierefrei wären eher geschlechterneutrale Formulierungen wie ‚Fachkräfte‘, die ohne Sonderzeichen auskommen. Da aber nicht alle Personenbezeichnungen ohne Bedeutungsverlust geschlechtsneutral umformuliert werden können (wie z.B. Ärzt*innen), empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband z.B. eine Mischung aus geschlechtsneutralen Formulierungen und dem Genderstern.

Geschlechterneutrale Formulierungen wie z.B. Fachkraft, fachkundige Person oder alle (statt „jeder“) haben also den Vorteil der besseren Lesbarkeit. Sie stellen eine alternative Strategie des Umgangs mit Geschlecht in der Sprache dar, die eher versucht, Geschlecht weniger in den Mittelpunkt zu stellen, zu dezentrieren. Je nach Kontext kann dies besonders inklusiv wirken oder auch darüber hinwegtäuschen, dass Geschlecht als Strukturkategorie nach wie vor eine Rolle spielt. So gesehen kann es ja nach Kontext sinnvoll sein, verschiedene Strategien einzusetzen.

Geschlechterreflektierende Sprache kann evtl. bei leichter Sprache, aber auch aus intersektionaler Perspektive zu Dilemmata führen. So werden geschlechterreflektierende Formulierungen in bestimmten Communitys kontrovers diskutiert, z.B. als Fremdzuschreibungen in Formen wie „Sinti*zze und Rom*nja“, die von vielen Selbstvertretungsorganisationen abgelehnt werden oder aber aufgrund der Unsichtbarmachung wichtiger historischer Bedeutungen wie z.B. beim Begriff „Juden“ usw. Wenn der Sinn geschlechterreflektierender Sprache gerade darin besteht, eine Reflexion über Diskriminierung allgemein anzuregen, indem Menschen über ungewohnte Begriffe stolpern oder an Widersprüchen und Komplexitäten hängenbleiben, dann muss das jedoch kein Problem darstellen, sondern kann der Beginn einer echten Auseinandersetzung mit diesen Themen sein. Eine Diskussion darüber, wie diese positiven Effekte von geschlechtersensiblen Formulierungen und anderer diskriminierungsarmer oder weniger verletzender Sprachregelungen (wie z.B. ‚N-Wort‘ oder ‚Z-Wort‘) genutzt werden können, ohne z.B. Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen auszuschließen oder ohne neue klassistische Ausgrenzungen durch immer höhere und sich häufig ändernde Anforderungen an korrektes Sprechen zu schaffen, ist ebenfalls wünschenswert und notwendig.

 

2025
Robin Bauer

Literatur

  • Arndt, Susan/Hornscheidt, Lann (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast.
  • Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (2021): Gendern. https://www.dbsv.org/gendern.html, 29.11.2022.
  • Haller, Paul/Pertl, Luan/Ponzer, Tinou (2022): Einführende Überlegungen zur Verwendung geschlechterreflektierter Sprache in diesem Buch – oder „Durch’s Reden kommen die Leut’ zamm!” In: Dies. (Hrsg.): Inter* Pride. Perspektiven aus einer weltweiten Menschenrechtsbewegung. Hiddensee: w_orten & meer, S. 31-44.
  • Hornscheidt, lann (2012): feministische w_orte. ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel.
  • Latkes*Berlin (2020): Juden gendern. https://latkesberlin.wordpress.com/2020/10/24/juden-gendern, 13.03.2025.
  • Pusch, Luise F. (2023): Das Deutsche als Männersprache. Berlin: suhrkamp, 15. Auflage.
  • s_he (alias Herrmann, Steffen Kitty) (2003): Performing the Gap. Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung. In: Arranca, H. 28. https://arranca.org/ausgaben/aneignung-i/performing-the-gap, 13.03.2025.
  • Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Rheinland-Pfalz u.a. (o.J.): Über die Kontroverse zum Gendern der Selbstbezeichnung Sinti und Roma. https://www.vdsr-rlp.de/kontroverse-zum-gendern-der-selbstbezeichnung-sinti-und-roma-einleitung/?doing_wp_cron=1738902186.5491330623626708984375, 13.03.2025.