Integration

Glossarbeitrag: Integration

Integration im Kontext von Gesellschaft bedeutet die Eingliederung in ein bestehendes System. Das System kann in jedem Teil der Gesellschaft bestehen. Es kann sich um das Schulsystem, das Gesundheitssystem, das politisches Wahlsystem, aber auch um die Film- oder die Museumslandschaft handeln. Eingegliedert werden einzelne Personen, Gruppen oder Gemeinschaften, die zuvor aus dem jeweiligen System ausgeschlossen oder ausgegrenzt wurden. Zum Beispiel wurden Frauen in das deutsche Wahlsystem integriert, als Feminist*innen erfolgreich das Frauenwahlrecht erkämpft haben. Ein anderes Beispiel ist, wenn ein berufserfahrener Handwerker nach Deutschland migriert und eine deutsche Ausbildung zum Handwerk absolviert, damit er in Deutschland arbeiten darf.  Dieser Handwerker wurde nach Abschluss der Ausbildung und erfolgreicher Einstellung in den deutschen Arbeitsmarkt integriert. Integration in die Gesellschaft bedeutet also, dass diejenigen die zuvor ausgeschlossen wurden die Verantwortung für ihre Eingliederung tragen. Im Integrationsansatz liegt nicht zugrunde, dass ein System angepasst werden muss.

Integration leitet sich von den Begriffen ‚integratio‘ (lat. einführen) und entragos (griech. unversehrt/ganz) ab. Heutzutage findet der Terminus Integration in unterschiedlichen Fachbereichen seine Anwendung, die sich von Naturwissenschaften, der Wirtschaft, der Technik, sowie den Sozialwissenschaften erstreckt. Die Definitionen und Bedeutungen des Begriffs hängen daher stark von dem jeweiligen Fachbereich ab. In den Sozialwissenschaften wird der Terminus auf gesellschaftliche Verhältnisse bezogen und beschreibt einen Umgang von Gesellschaften mit ausgeschlossenen Gruppierungen und Gemeinschaften. Dabei wird Integration von Exklusion, Separation und Inklusion abgegrenzt.

Unter Exklusion wird der Ausschluss aus gesellschaftlichen Zusammenhängen verstanden. Dies findet beispielsweise statt, wenn Personen mit unsicheren Aufenthaltsstatus rechtlich verboten wird, einer Arbeit nachzugehen. Durch das Arbeitsverbot werden sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und damit auch von allen Aspekten der gesellschaftlichen Teilhabe, die nur durch Geld zugänglich sind. Separation hingegen beschreibt die Aussonderung aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. Hier wird zu einem bestehenden System eine neue Struktur geschaffen, welche bestimmte Personengruppen aus dem System trennt. Darunter zählen beispielsweise Integrationsklassen für migrierte Kinder oder Förderschulen für Kinder mit Behinderungen, da dadurch bestimmte Kinder vom bestehenden Schulsystem ausgesondert und durch ein neu geschaffenes System separiert werden.

Integration hebt diese Zustände des Ausschlusses und der Trennung auf und beschreibt die Eingliederung von zuvor exkludierten Gruppierungen in eine Gesellschaft bzw. ein System. Dies passiert z.B., wenn zuvor separierte Kinder mit Behinderungen in das bestehende Schulsystem eingegliedert werden. Integration setzt jedoch in dieser Auffassung voraus, dass die zuvor ausgegrenzte oder ausgesonderte Person, Gruppierung oder Gemeinschaft für das Gelingen der Eingliederung in ein System verantwortlich ist. Somit müssen Kinder mit Behinderungen in Deutschland hohe Leistungen vorweisen und langwierige Rückschulungsverfahren durchlaufen, bevor sie in das Schulsystem eingegliedert werden können. Das Schulsystem selbst wird bislang nicht an die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen angepasst, was dazu führt, dass die meisten Schüler*innen einer Förderschule keine Schulbildung abschließen können und dadurch nur in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiten dürfen, die nicht an Mindestlohnregelungen gebunden sind. Dieser Zustand wird vom Ansatz der Inklusion kritisiert. Inklusion setzt voraus, dass ein System verändert werden muss, um die Teilhabe für alle an einem System zu ermöglichen.

Bild siehe oben: Schritte zur Inklusion. (Robert Aehnelt) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Integration als Ansatz will somit Teilhabe für diejenigen ermöglichen, die bisher ausgeschlossen wurden. Jedoch weist der Ansatz sowohl in der Theorie als auch in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten in der Umsetzung dieser Teilhabe auf, da mit dem Ansatz keine systematische Veränderung einhergeht.

Dies wird besonders im gegenwärtigen deutschen Diskurs um Integration deutlich, der seit Mitte der 1970er Jahre vorwiegend die Eingliederung von sogenannten ‚Ausländern‘, ‚Migranten‘ und ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ in die deutsche Gesellschaft thematisiert.  Integration von sogenannten ‚Migranten‘ wurde im Nachkriegsdeutschland zur politischen Aufgabe. Es wurden Integrationskurse geschaffen und Aufnahmelager gebaut. Zudem wurde zunehmend festgelegt, wer das Recht hat sich zu integrieren und wer abgeschoben werden sollte. Diese Regelungen gingen mit Diskursen um sogenannte ‚Parallelgesellschaften‘ einher, sowie Anforderungen was für Integration benötigt wird. So forderte Thomas de Maizère 2016, dass zur Integration ein „Bekenntnis zum gewaltfreien Zusammenleben“ gehöre und ‚Migranten‘ die Bedeutung des Holocausts verstehen sollten.

In diesem Diskurs wird somit eine Gruppe der ‚Migranten‘ konstruiert, der vorgeworfen wird, sich nicht gut in eine vermeintlich etablierte Kerngesellschaft zu integrieren. Auch wird in Begriffen wie ‚Parallelgesellschaft‘ oder den Anforderungen Maizère’s deutlich, dass Menschen mit Migrationsbiografien einseitig motiviert werden sollen, um sich zu integrieren. Die Professorin für Integration und Migration, Naika Fourutan, stellt daher fest, dass im Integrationsdiskurs ein defizitäres Anderes vorausgesetzt wird, auf welches die Integrationspolitik reagiert. Die Anpassung des deutschen Systems und institutionellen und strukturellen Öffnungen nicht unter dem Diskurs und dem politischen Handeln gefasst. Jedoch wird Teilhabe erheblich erschwert, ohne institutionelle und strukturelle Öffnung. Zudem werden unter dem Deckmantel der Integration, Strukturen der Separation geschaffen, wie durch die Schaffung von Aufnahmelagern, jedoch fehlenden Maßnahmen zur Schaffung von günstigem Wohnraum. Durch die Aufnahmelager werden Zugewanderte ausgegrenzt und immer wieder Gewalt ausgesetzt, wie die seit den 1980er jährlichen rassistisch und antisemitisch motivierten Angriffe auf sogenannte Flüchtlingsheime zeigen.

2024
Riv Elinson

Literatur

  • Broszinsky-Schwabe, Edith (2011): Integration. In: Lewinski-Reuter, Verena/ Lüddemann, Stefan (Hrsg.): Glossar Kulturmanagement. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S.80-85.
  • Deutscher Bundestag (1990): Brandanschläge auf Aus- und Übersiedlerheime 1988 und 1989; Höhe der Aufklärungsquote. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Norbert Gansel und der Fraktion SPD. Berlin, BT-Drucksache 11/6323.
  • Deutscher Bundestag (2015): Fragen zur polizeilichen Lagebilderstellung von Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Monika Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Berlin, BT-Drucksache 18/6513.
  • Deutscher Bundestag (2024): Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im zweiten Quartal 2024. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
  • Abgeordneten Clara Bünger, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Berlin, BT-Drucksache 20/12336.
  • Foroutan, Naika (2015): Brauchen wir den Integrationsbegriff noch?. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/205196/brauchen-wir-den-integrationsbegriff-noch/, 11.09.2024
  • Foroutan, Naika (2015): Integration als Metanarrativ. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/205197/integration-als-metanarrativ/, 11.09.2024
  • Heitmeyer, Wilhelm / Imbusch, Peter (2005): Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft. Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2005.
  • Kulke, Dieter (2023) Teilhabe und Inklusion. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier.https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/521497/teilhabe-und-inklusion/, 06.09.2024
  • Kulke, Dieter (2020): Teilhabe und Inklusion. In: Susanne Hartwig (Hrsg.): Handbuch Behinderung, Stuttgart: Metzler, S. 87–93.
  • Schuhmann, Brigitte (2022). Förderschüler:innen haben kaum Aussicht auf Schulformwechsel. In: Bildungsklick. https://bildungsklick.de/schule/detail/foerderschuelerinnen-haben-kaum-aussicht-auf-schulformwechse, 12.09.2024
  • Welt (2016): Politik. https://www.welt.de/politik/deutschland/article159941273/De-Maiziere-fordert-Bekenntnis-zu-Gewaltfreiheit.html, 12.09.2024