inter*/intergeschlechtlich

Menschliche Körper weisen bezogen auf ihre geschlechtlichen Merkmale wie Chromosomensätze, Hormonspiegel, Keimdrüsen, Genitalien, sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. eine große Vielfalt auf. Die westliche moderne Biologie, Medizin sowie Rechtsprechung ging jedoch von einem Zweigeschlechtermodell aus. Körper, die nicht einem der Standardkörper männlich/weiblich entsprechen, wurden daher als krankhafte Abweichungen statt als gewöhnliche Normvarianten eingestuft und behandelt. Der Begriff „intergeschlechtlich“ oder „zwischengeschlechtlich“ drückt aus, dass es sich um Körper handelt, die sich auf einem Kontinuum zwischen den Polen „weiblich“ und „männlich“ bewegen. Häufig werden als Selbstbezeichnung auch einfach „inter“ oder „inter*“ als Adjektive verwendet, wobei der Stern für die Vielfalt unter inter* Personen steht. Als Selbstbezeichnungen eignen sich zudem manche intergeschlechtliche Menschen auch den ursprünglich abwertenden Begriff „Zwitter“ oder den Begriff „Hermaphrodit“, der aus der griechischen Mythologie stammt, an.

Die Biographien von inter* Menschen sind in Deutschland bisher stark durch strukturelle Gewalt und Fremdbestimmung gekennzeichnet, vor allem durch die Zwangsbehandlungen der Medizin als Institution. Wurde der ursprüngliche Körper verändert, zieht dies durch die traumatischen Widerfahrnisse lebenslange Konsequenzen nach sich. In den Fällen, in denen der ursprüngliche Körper erhalten blieb, z.B. weil Eltern Operationen nicht zustimmten, sind inter* Personen ebenfalls in einer zweigeschlechtlichen Welt Diskriminierungen und Ausschlüssen ausgesetzt. Häufig erfahren inter* Menschen erst im Erwachsenenalter durch zufällige Ereignisse von ihrer inter* Geschichte. Bevor es eine sichtbare Inter-Bewegung und Selbsthilfegruppen gab, musste die Aufarbeitung alleine und häufig in Isolation geleistet werden.

In den 1990er Jahren entstand in Deutschland und international eine Inter-Bewegung. Vorreiter_innen in Deutschland waren die 1996 gegründete AG gegen Gewalt in der Pädiatrie & Gynäkologie (AGGPG) und eine 1997 gegründete Selbsthilfegruppe für XY-Frauen. Zentrale Forderung der Inter-Bewegung sind die Entpathologisierung (inter* Körper nicht mehr als Störung/Krankheit zu verstehen) und die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Selbstbestimmung bedeutet konkret ein Verbot von medizinisch nicht notwendigen Operationen und sonstigen Behandlungen an Kindern und Jugendlichen im nicht-zustimmungsfähigen Alter. Der ursprüngliche Körper sollte erhalten bleiben, damit inter* Personen ihre Zukunft selbst gestalten können. Dieser Forderung wurde 2021 mit dem „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ zumindest ansatzweise entsprochen, auch wenn das Gesetz die Selbstbestimmung über die Körper letztlich nicht konsequent genug umsetzt.

Inter* Aktivist_innen ging es von Beginn an vor allem um ihre körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Die Frage der Identität ist innerhalb der inter* Communitys daher eher zweitrangig. Manche inter* Personen verstehen sich als Männer und Frauen, deren Körper sich lediglich etwas von anderen Männern und Frauen unterscheiden, andere identifizieren sich als inter* Frauen oder inter* Männer, wiederum andere verstehen sich einfach als inter*, als nichtbinär oder lehnen jegliche Geschlechtsidentität ab. Die Entwicklung der Inter-Bewegung, die erkämpfte höhere Sichtbarkeit von Intergeschlechtlichkeit in der Öffentlichkeit und Fortschritte in der Durchsetzung der Menschenrechte holen immer mehr inter* Personen aus der Isolation. Inter* Personen verstecken sich nicht mehr, sondern fordern ihre Rechte ein. Dies stellt eine an zwei Geschlechtern orientierte Gesellschaft vor die Herausforderung, wie inter* (und andere nichtbinäre) Menschen in zweigeschlechtliche Institutionen wie öffentliche Toiletten, Umkleidekabinen oder auch geschlechtergetrennte Wohngruppen oder Angebote der Jugendhilfe passen. Zwar gibt es bereits seit 2018 die Möglichkeit für inter* Personen, den Geschlechtseintrag „divers“ zu nutzen. Das schlägt sich allerdings nur sehr zögerlich und gegen viel Widerstand in einer Veränderung von Institutionen und der Zivilgesellschaft nieder, wie zuletzt auch die Auseinandersetzungen um das sog. Selbstbestimmungsgesetz gezeigt haben. Die vollständige Wahrung der Menschenrechte und eine allumfassende Teilhabe sind für inter* Personen daher trotz aller Reformen noch nicht erreicht.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • Barth, Elisa u.a. (Hrsg.) (2013): Inter – Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. Berlin: nono.
  • Gregor, Joris Atte (2015): Constructing intersex. Intergeschlechtlichkeit als soziale Kategorie. Bielefeld: transcript.
  • Haller, Paul/Pertl, Luan/Ponzer, Tinou (Hrsg.) (2022): Inter* Pride. Perspektiven aus einer weltweiten Menschenrechtsbewegung. Hiddensee: w_orten & meer.
  • Hechler, Andreas (2014): Intergeschlechtlichkeit als Thema in Pädagogik und Sozialer Arbeit. In: Sozialmagazin 3-4/2014, S. 46-53.
  • Viloria, Hida (2017): Born both: An intersex life. New York/Boston.