Männlichkeit
Männlichkeit ist ein Konzept, das schwer zu erfassen ist, weil Männlichkeit letztlich nur als Gegenteil von oder in Abgrenzung zu Weiblichkeit definiert werden kann. Der Begriff „männlich“ findet zudem breite Verwendung in ganz unterschiedlichen Kontexten, z.B. in der Medizin und Biologie bezogen auf das biologische Geschlecht von bestimmten Personen. Dann wird Männlichkeit anhand körperlicher Merkmale (Penis, Hoden, XY-Chromosomensatz, bestimmter Hormonspiegel) festgemacht. Als Identitätsbegriff bezeichnen sich Personen als männlich, die sich dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen. Als rechtlicher Begriff ist „männlich“ im Wandel. Traditionell wurde der Personenstand bzw. Geschlechtseintrag als männlich am biologischen Geschlecht festgemacht, aber mittlerweile kann der Eintrag „männlich“ auch auf Antrag auf Basis der Geschlechtsidentität unabhängig von körperlichen Merkmalen gewählt werden. Weiterhin wird der Begriff „männlich“ auch für geschlechterstereotype Merkmale und Verhaltensweisen verwendet, die dann als besonders „männlich“ gelten, von einem festen Händedruck zu einer Vorliebe für bestimmte Sportarten. In diesem Sinne sind nicht alle Männer gleich, sondern konkurrieren untereinander darum, wer am „männlichsten“ ist bzw. am besten bestimmte Männlichkeitsvorstellungen erfüllt. Vorstellungen von Männlichkeit sind auch historisch und kulturell spezifisch und in unserem Kulturkreis vor allem durch die Vormachtstellung von Männern gegenüber Frauen bestimmt und daher mit Dominanz verknüpft.
Die Männlichkeitsforschung untersucht daher die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit, ihre Ursachen und Folgen. Sie zeigt u.a., dass Männlichkeit sich nach außen hin vor allem über die Abgrenzung zu Weiblichkeit definiert, was häufig mit einer Abwertung von Weiblichkeit einhergeht (stark vs. schwach, rational vs. emotional usw.). Der Begriff der toxischen Männlichkeit entstand in den letzten Jahren in den Medien, um solche vor allem für Frauen, aber ggf. auch andere Männer, schädlichen Formen von Männlichkeit zu beschreiben. Männlichkeitsvorstellungen, die den Ausdruck von Gefühlen, z.B. durch Weinen, als unmännlich markieren, schaden letztlich jedoch allen Menschen, weil sie gerade auch Jungen in ihrer emotionalen Entwicklung stark einschränken. Connell hat herausgearbeitet, dass es ein Konzept hegemonialer Männlichkeit gibt, das Männer untereinander in Konkurrenz setzt (durch das Streben nach dieser mächtigsten Form von Männlichkeit). Männer, die herrschenden Männlichkeitsidealen am wenigsten zu entsprechen scheinen, werden dabei als „Schwuchtel“, „schwul“ o.ä. diffamiert, was ihnen die Männlichkeit absprechen soll. Hegemoniale Männlichkeit und Heteronormativität sind somit eng verknüpft. Andere Männer fallen nach Connell unter Kategorien wie „marginalisierte“ Männlichkeit, z.B. wenn ihnen aufgrund anderer sozialer Merkmale wie einem sog. Migrationshintergrund, nicht die vollumfänglichen Privilegien der hegemonialen Männlichkeit zur Verfügung stehen. Daher wird auch von Männlichkeiten in Plural gesprochen. Männern mit Behinderungen wird oft die Männlichkeit abgesprochen, u.a. weil viele Stereotype über Männlichkeit nicht im Einklang mit Stereotypen zu Behinderung stehen. So wird Männlichkeit mit Stärke, Unabhängigkeit usw. assoziiert, Behinderung hingegen mit Schwäche und Abhängigkeit von anderen. Männlichkeit funktioniert in gewisser Hinsicht wie eine knappe Ressource, vor allem unter endo cis Männern, jedoch auch in Bezug auf andere Personen, die Männlichkeit für sich beanspruchen, wie trans* Männer oder auch manche Frauen wie Butches oder nichtbinäre Personen. Da das Verkörpern von (hegemonialer) Männlichkeit letztlich ein unerreichbares Ideal darstellt, ist Männlichkeit auch ständig in der Krise. Manche Männer sehen die männliche Vorherrschaft auch durch Fortschritte in der Gleichberechtigung der Geschlechter und vor allem durch Feminismus gefährdet und damit auch ihre Vorstellung einer (dominanten, hegemonialen, traditionellen) Männlichkeit. Auch aus dieser Perspektive ist Männlichkeit in einer Krise, die es zu überwinden gelte, in Form einer Rückbesinnung auf stereotype Formen von „echter“ Männlichkeit. Daraus resultieren dann antifeministische Männerbewegungen, die sich außerdem auch gegen die Rechte von TIN* Personen richten.
2023
Robin Bauer
Literatur
- Aigner, Isolde/Lenz, Ilse (2023): Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen Öffentlichkeiten. In: Dorer, Johanna u.a. (Hrsg.): Handbuch Medien und Geschlecht. Wiesbaden: Springer VS, S. 721-730.
- Bauer, Robin/Hoenes, Josch/Woltersdorff, Volker (Hrsg.) (2005): Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven. Hamburg: Männerschwarmskript.
- Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: Springer. 4., durchgesehene und erweiterte Auflage.
- Hoenes, Josch (2014): Nicht Frosch – nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild. Eine kunst- und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken. Bielefeld: transcript.
- Koebsell, Swantje (2009): „Passives Akzeptieren“ und „heroische Anstrengung“ – Zum Zusammenspiel von Behinderung und Geschlecht. Vortrag am 3.2.2009 im Rahmen der ZeDiS-Ringvorlesung „Behinderung ohne Behinderte!? Perspektiven der Disability Studies“. https://www.zedis-hamburg.de/wp-content/download-pdfs/koebsell_geschlecht_behinderung.pdf, 26.03.2025.
- Meuser, Michael (2001): Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit. Schriften des Essener Kollegs für Geschlechterforschung, Hrsg. Doris Janshen und Michael Meuser, Bd. 1., Heft 2, 5–32. https://www.uni-due.de/imperia/md/content/ekfg/michael_meuser_maennerwelten.pdf, 26.03.2025
- Pascoe, C.J. (2006): „Du bist so ‘ne Schwuchtel, Alter“ – Männlichkeit in der Adoleszenz und der „Schwuchteldiskurs“. In: Zeitschrift für Sexualforschung 19. Jg., S. 1–26.
