Mikroagression
Glossarbeitrag: Mikroaggressionen – Vielseitige und subtile Diskriminierung
Mikroaggressionen sind subtile, häufig unbewusste Beleidigungen oder Herabsetzungen, die sich gegen Personen aus marginalisierten Gruppen richten. Diese können sowohl in verbaler als auch in nonverbaler Form erfolgen und haben, trotz ihrer scheinbaren Harmlosigkeit, tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische und emotionale Gesundheit der Betroffenen.
Der Begriff „Mikroaggressionen“ (engl. Microaggressions) wurde von dem US-amerikanischen Psychiater Dr. Chester Pierce in den 1970er Jahren geprägt, um die regelmäßigen Beleidigungen und Abwertungen zu beschreiben, denen Schwarze Menschen in den USA durch Werbespots sowie im Alltag der Hochschulbildung ausgesetzt sind. In der Folge wurde das Konzept dahingehend erweitert, dass auch weitere marginalisierte Gruppen Berücksichtigung finden.
Mikroaggressionen manifestieren sich in kurzen, alltäglichen und oft beiläufigen Bemerkungen oder Handlungen, die aufgrund impliziter Vorurteile diskriminierende Botschaften transportieren. Mikroaggressionen manifestieren sich, wenn bestimmte Annahmen über eine Person getroffen werden, die auf Fremdzuschreibungen der Dominanzgesellschaft über die marginalisierte Gruppe basieren. Dabei werden diskriminierende und rassistische Gesellschaftsstrukturen durch die Konstruktion eines ‚Wir‘- und ‚Sie‘-Gegensatzes perpetuiert.
Der Psychologe Dr. Derald Wing Sue hat drei Typen von Mikroaggression definiert:
- Mikroangriffe (engl. Microassaults):
Direkte, absichtliche Beleidigungen oder diskriminierende Handlungen. Diese sind in der Regel offener und bewusster, wie beispielsweise rassistische Witze oder abfällige Bemerkungen über Minderheiten.
Beispiele für derartige Äußerungen sind die Verwendung abwertender, rassistischer und diskriminierender Sprache.
- Mikrobeleidigungen (engl. Microinsults):
Es handelt sich hierbei um indirekte, oft unbewusste Bemerkungen, die eine Person aufgrund ihrer sozialen Identität abwerten. Diese Art von Mikroaggressionen zielt auf die Identität einer Person ab und vermittelt ihr das Gefühl, weniger wert oder fähig zu sein.
Ein Beispiel für eine solche Mikroaggression ist die Frage „Woher kommst du wirklich?“. Diese Frage vermittelt die Botschaft, dass die angesprochene Person aufgrund bestimmter Merkmale, die als ‚anderartig‘ eingestuft werden, nicht wirklich zu der Gesellschaft gehören kann, in der sie lebt.
- Mikroentwertung (engl. Microinvalidation):
Der Versuch, die Erfahrungen und Gefühle von marginalisierten Personen zu entwerten oder zu leugnen, kann als eine weitere Form der Diskriminierung betrachtet werden. In diesem Kontext wird der betreffenden Person signalisiert, dass ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse von der adressierten Person nicht ernst genommen werden.
Als Beispiel kann das Absprechen und Leugnen einer stattgefundenen rassistischen oder diskriminierenden Handlung angeführt werden. Dabei wird der betroffenen Person unterstellt, sie würde die Situation falsch interpretieren oder übertreiben.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass nicht alle Mikroaggressionen verbaler Natur sind. So kann sie sich auch durch Körpersprache oder institutionelle Strukturen manifestieren, indem eine Frau ihre Tasche umklammert, wenn eine Schwarze Person neben ihr sitzt. Auch das Planen von Meetings oder Veranstaltungen ohne Berücksichtigung religiöser Feiertage oder Traditionen kann ebenfalls als eine Form der Diskriminierung betrachtet werden.
Die scheinbar geringen und harmlosen Bemerkungen oder Handlungen potenzieren sich mit der Zeit zu einem signifikanten Stressfaktor für die Betroffenen. Studien belegen, dass Mikroaggressionen langfristig zu psychischen Problemen wie Depressionen, Angstzuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen können. Dieser Effekt wird vielfach mit dem Bild eines ‚Todes durch tausend kleine Schnitte‘ verglichen, wobei jede Mikroaggression isoliert betrachtet geringfügig erscheinen mag, jedoch ihre wiederholte Erfahrung einen Einschnitt in die Lebensqualität marginalisierter Menschen darstellt.
Der Umgang mit Mikroaggressionen erweist sich als komplex, da sie häufig unbewusst oder beiläufig geäußert werden. Betroffene sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, abzuwägen, ob sie derartige Bemerkungen ignorieren oder eine Konfrontation suchen sollten. Beide Reaktionen können mit emotionalen Belastungen einhergehen und zu Stress führen.
30.08.2024
Debora Nsumbu
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