Misgendern

Das Verb „misgendern“ stammt aus dem Englischen „to misgender“ und leitet sich ab von „gender“, dem englischen Begriff für das soziale Geschlecht. Die Wortschöpfung „to misgender“ stammt aus dem Kontext von trans*, inter* und nichtbinären (TIN*) Communitys und bezeichnet die Praxis, eine Person mit dem falschen Geschlecht zu bezeichnen. Mit dem falschen Geschlecht bedeutet: nicht entsprechend der eigenen Geschlechtsidentität. Praktisch drückt sich das in der Regel durch die Verwendung falscher Pronomen aus, also z.B. wenn ein trans* Mann mit weiblichen Pronomen bezeichnet wird. Oder auch durch andere unpassende Formen der Referenz auf diese Person oder Anrede dieser Person (z.B. bei einer trans* Frau als „Herr“ oder einer nichtbinären Person als „er“). Misgendern kann auch damit einhergehen, einen alten Vornamen einer Person zu verwenden, der nicht zur Geschlechtsidentität der jeweiligen Person passt und von ihr abgelegt wurde und auch abgelehnt wird (sog. Deadnaming).

Misgendern kann absichtlich eingesetzt werden, um TIN* Personen zu schaden und ihnen ihr Existenzrecht abzusprechen. Häufig findet misgendern aber auch unbeabsichtigt statt: Erstens aufgrund von Ignoranz in einer cis- und endo-normativen Gesellschaft, die davon ausgeht, dass es nur zwei Geschlechter gebe, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter sich im Laufe des Lebens nicht ändern könne und dass diese Zugehörigkeit aus äußeren Merkmalen objektiv abzuleiten sei. Aufgrund dieser Annahmen ordnen Menschen ihr Gegenüber ggf. falsch zu, ohne dass es ihnen überhaupt bewusst ist, weil ihnen das tatsächliche Geschlecht/die Geschlechtsidentität des Gegenübers nicht bekannt ist. Zweitens kann die Geschlechtsidentität einer Person zwar bekannt sein, aber dennoch ein Fehler bei den Pronomen unterlaufen, z.B. weil das Pronomen noch ungewohnt ist. Misgendern kann letztlich nur durch gesellschaftliche und individuelle Lernprozesse aus dem Weg geräumt werden. Misgendern ist jedoch immer eine Verletzung der Selbstbestimmung der Person, die falsch bezeichnet wird und wird in der Regel auch als solche empfunden. Für Menschen, die nicht „passen“, also aus der Sicht der Norm nicht umstandslos entsprechend ihrer Geschlechtsidentität wahrgenommen werden, ist misgendern in der Regel eine alltägliche, sich ständig wiederholende Erfahrung, die Stress auslöst, weil die persönliche Integrität infrage gestellt wird. Umgekehrt kann das Respektieren der eigenen Identität mit entsprechendem korrekten Verwenden von Namen, Pronomen, Anrede usw. die psychische Gesundheit von TIN* Personen fördern. Strategien für Institutionen, misgendern zu vermeiden, können von Schulungen des Personals zu geschlechtsneutraler Anrede, Formularen usw. reichen, oder es kann standardmäßig in Akten auch Anrede und Pronomen als Information vermerkt werden.

Das sog. Selbstbestimmungsgesetz enthält ein Offenbarungsverbot. Es ist demnach verboten, frühere Geschlechtseinträge von TIN* Personen ohne deren Zustimmung in Erfahrung zu bringen oder zu offenbaren. Bestraft werden allerdings nur Fälle, in denen die TIN* Person dadurch absichtlich geschädigt wurden.  Zudem gilt das Verbot nicht explizit für Deadnaming oder misgendern. Somit bleibt das Gesetz hier inkonsequent, was den Schutz von TIN* Personen vor transfeindlichen Angriffen betrifft.

 

2023
Robin Bauer

Literatur

  • McLemore, Kevin A. (2018): A minority stress perspective on transgender individuals’ experiences with misgendering. In: Stigma and Health, 3. Jg, H.1, S. 53-64.
  • Nordmarken, Sonny (2021): Misgendering. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 540.
  • Russell, Stephen T. u.a. (2018): Chosen name use is linked to reduced depressive symptoms, suicidal ideation, and suicidal behavior among transgender youth. In: Journal of Adolescent Health, 63. Jg., H.4, S. 503–505.