Misogynoir

Glossarbeitrag: Misogynoir

Misogynoir beschreibt die spezifische Form von Misogynie, die sich gegen Schwarze Frauen* richtet und durch das Zusammenspiel von Rassismus und Sexismus entsteht. Diese einzigartige Diskriminierung erfasst die gleichzeitige Erfahrung beider Unterdrückungsformen, die in den traditionellen Konzepten von ‚Rassismus’ und ‚Sexismus’ oft unbeachtet bleibt. Misogynoir zeigt sich insbesondere in medialen Darstellungen, die Schwarze Frauen* als übersexualisiert oder aggressiv darstellen, was reale Auswirkungen auf ihre gesellschaftliche Behandlung hat.

Der Begriff ‚Misogynoir‘ wurde 2008 von der Schwarzen Feministin und Wissenschaftlerin Moyà Bailey geprägt, um eine spezifische Form der Misogynie zu beschreiben, die sich gegen Schwarze Frauen* richtet. Der Begriff setzt sich aus den Wörtern ‚Misogynie‘ (Frauen*feindlichkeit) und ‚Noir‘ (französisch für schwarz) zusammen. Bailey führte den Begriff ein, um die einzigartige Synthese von rassistischer und sexistischer Gewalt und Diskriminierung zu erfassen, die Schwarze Frauen* aufgrund ihrer spezifischen Position erfahren.

Misogynie ist also mehr als das isolierte Auftreten von Rassismus oder Sexismus; es beschreibt die Gleichzeitigkeit beider Unterdrückungsformen, die neue Unterdrückungsmechanismen schafft, die sich gezielt gegen Schwarze Frauen* richten.

Die Notwendigkeit eines solchen Begriffs ergibt sich daraus, dass herkömmliche Konzepte von Rassismus und Sexismus die spezifischen Erfahrungen Schwarzer Frauen* oft unsichtbar machen. Während sich Rassismus typischerweise auf Schwarze Männer und Sexismus auf weiße Frauen* konzentriert, bleiben die Erfahrungen Schwarzer Frauen* oft unbeachtet und werden durch diese dualistischen Kategorien nur unzureichend beschrieben.

So leiden Schwarze Frauen* unter der Vereinnahmung und Unsichtbarmachung ihrer Erfahrungen und Positionen in Diskursen entlang der Themen Sexismus und Frauenfeindlichkeit, indem Ungerechtigkeiten entlang dieser universell dargestellt werden, ohne den Einfluss von race zu berücksichtigen. Im Sinne eines ‚weißen Solipsismus‘ wird Sexismus primär aus einer weiß-normativen Perspektive betrachtet, definiert und interpretiert, wodurch die Lebensrealitäten von Women of Color und Schwarzen Frauen* krass ausgeblendet und ihre Erfahrungen marginalisiert werden. So werden rassistische Strukturen, von denen weiße Frauen* profitieren, nicht erkannt. Sie zentrieren ihre eigenen Erfahrungen als Frauen* und ignorieren die Privilegien, die sie aufgrund ihres Weißseins im gesellschaftlichen System haben. Andersrum sehen Schwarze Männer oft ihre eigene Marginalisierung durch Rassismus, ignorieren aber den Sexismus sowie festgefahrene patriarchale Strukturen, denen Schwarze Frauen* ausgesetzt sind. Die dominante Erzählung in Schwarzen Communities oft die rassistische Unterdrückung von Schwarzen Männern in den Vordergrund stellt und die Diskriminierung von Frauen* ignoriert.

Der Begriff ‚Misogynoir‘ adressiert genau diese Lücke, indem er die besondere Art und Weise thematisiert, wie Rassismus und Sexismus ineinandergreifen und sich gegen Schwarze Frauen* richten. Es reicht nicht aus, Rassismus und Sexismus getrennt voneinander zu analysieren, da Schwarze Frauen* mit beiden Diskriminierungsformen gleichzeitig konfrontiert sind. Diese intersektionale Perspektive ist entscheidend, um die vielfältigen Herausforderungen, mit denen Schwarze Frauen* konfrontiert sind, zu verstehen und anzugehen.

Misogynoir manifestiert sich auf vielfältige Weise in der Gesellschaft, insbesondere durch die Darstellung Schwarzer Frauen* in den Medien und in der Populärkultur. Diese Darstellungen bedienen sich häufig stereotyper Bilder, die Schwarze Frauen* beispielsweise als übersexualisiert oder mütterlich-aufopfernd zeigen. Weiße, koloniale und patriarchale Gesellschaftsstrukturen haben die Macht über die Darstellung Schwarzer Frauen*, indem sie kontrollieren, wie die Gesellschaft Schwarze Frauen* sieht.

Diese Bilder haben reale Auswirkungen auf das Leben Schwarzer Frauen*, indem sie negative gesellschaftliche Wahrnehmungen und damit verbundene Benachteiligungen in verschiedenen Lebensbereichen verstärken. Sie tragen dazu bei, dass Schwarze Frauen* sowohl in den Medien als auch in politischen und sozialen Strukturen marginalisiert und diskriminiert werden.

Eine Studie der Georgetown Law School zeigt beispielsweise, dass Schwarze Mädchen in den USA häufig als älter und reifer wahrgenommen werden als ihre weißen Altersgenossinnen. Diese sogenannte Diskrepanz führt dazu, dass Schwarze Mädchen als weniger unschuldig angesehen und härter bestraft werden, weil ihnen eine Reife und Verantwortlichkeit zugeschrieben wird, die nicht ihrem tatsächlichen Alter entspricht. Diese Wahrnehmung trägt dazu bei, dass sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Schwarze Mädchen eher als gerechtfertigt bzw. als weniger schwerwiegend angesehen werden.

Andere Studien zeigen, dass Schwarze Frauen* mit dunkler Hautfarbe (dark-skinned) in der Gesellschaft häufiger als aggressiv und weniger einfühlsam wahrgenommen werden. Diese Stereotype führen dazu, dass diesen Frauen* häufig Weiblichkeit und Emotionalität abgesprochen werden. Die Zuschreibung männlicher Attribute, wie sie beispielsweise bei Serena Williams oder Michelle Obama zu beobachten ist, zielt darauf ab, Schwarze Frauen* in ihrer Weiblichkeit zu delegitimieren und ihre Erfolge zu minimieren.

Auch in einer Studie, in der Schwarze Frauen* in Deutschland befragt wurden, wie sie in Deutschland aufgewachsen sind, gaben einige der befragten Frauen* an, dass sie sich bewusst darum bemühen mussten, als ‚weiblich‘ wahrgenommen zu werden, da ihnen immer wieder Männlichkeit zugeschrieben wurde. Die Untersuchung zeigt, dass Schwarze Frauen* auch in Deutschland mit ähnlichen Stereotypen und Diskriminierungen konfrontiert sind wie in den USA. Insbesondere Schwarze Frauen* mit dunklerer Hautfarbe berichten, dass ihnen häufig Aggressivität und Männlichkeit zugeschrieben wird, was ihre soziale Wahrnehmung und Behandlung beeinflusst.

 

30.08.2024
Debora Nsumbu

 

Literatur:

  • Bailey, M. (2021). Misogynoir transformed: Black women’s digital resistance. New York: New York University Press.
  • Parbey, C. (2020). Rassismus: Brauchen Schwarze Frauen ein bestimmtes Äußeres, um aufzusteigen? Zeit Online. Zugriff unter: https://www.zeit.de/zett/politik/2020-12/rassismus-weiblichkeit-sexualisierung-gender-studies-denise-bergold-caldwell
  • Piesche, P. (Hrsg.). (2012). Euer Schweigen schützt Euch nicht: Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland. Berlin: Orlanda Buchverlag
  • Hooks, Bell (1981). Ain’t I a Woman? Black Women and Feminism. Boston: South End Press.
  • The Combahee River Collective (2019). Ein Schwarzes feministisches Statement. In: Natasha A. Kelly (Hrsg.), Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte. Berlin: Orlanda Buchverlag, S. 47–60.