Regenbogenfamilien
Der Begriff „Regenbogenfamilien“ bezieht sich auf die Symbolik der Regenbogenflagge, die sich seit Ende der 1970er-Jahre als Flagge der queeren Bewegung von San Francisco aus im Globalen Norden und darüber hinaus verbreitete. Seitdem gilt der Regenbogen als Symbol für die Akzeptanz queerer Lebensweisen. Regenbogenfamilien sind daher queere Familien, womit in der Regel gemeint ist, dass mindestens ein biologisches, soziales oder rechtlich gesehenes sorgeberechtigtes Elternteil in der Konstellation sich als LSBTIQ* definiert. Das Spektrum von möglichen Familienformen ist dabei sehr vielfältig. Viele unterscheiden sich nicht grundsätzlich von heterosexuellen und cisgender Konstellationen, bis auf das Geschlecht und/oder die sexuelle Orientierung der Eltern: Es gibt gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, alleinerziehende LSBTIQ* Personen, Patchworkfamilien mit queeren Elternteilen. Es gibt jedoch auch Erweiterungen des Konzepts Familie, z.B. von Beginn an geplante Konstellationen, die über das Paar als Eltern hinausgehen, z.B. ein lesbisches Paar, das den biologischen Vater des gemeinsamen Kindes als Teilzeitvater mit einbezieht. Häufig findet eine Entkopplung zwischen biologischer, sozialer und rechtlicher Elternschaft statt.
Insbesondere die reproduktiven Rechte von trans* und inter* Personen wurden auch in Deutschland lange systematisch verletzt. So wurden teilweise medizinisch unnötige Behandlungen von inter* Menschen aus Gründen der Anpassung an die Normvorstellungen von männlichen/weiblichen Körpern vorgenommen, die eine Unfruchtbarkeit nach sich zogen. Unveränderte inter* Körper sind sehr vielfältig, nicht alle können ein Kind zeugen oder gebären (wie bei endo Körpern auch). Trans* Personen war es lange Zeit aufgrund des sog. Transsexuellengesetzes nur möglich, eine Personenstandsänderung durchzuführen, wenn sie nachweisen konnten, dass sie fortpflanzungsunfähig waren (aufgrund der operativen Entfernung von Reproduktionsorganen). Vor einer medizinischen Transition sind (endo) trans* Personen wie (endo) cis Personen prinzipiell fortpflanzungsfähig. Heute sollte eine reproduktionsmedizinische Beratung vor einer medizinischen Transition üblich sein, das Bewahren von Eizellen ist z.B. jedoch kostspielig und wird nicht von der Krankenkasse übernommen. Somit sind die Optionen für eine biologische Elternschaft für trans* Personen begrenzt, zumal sich z.B. auch das Austragen eines Kindes für manche transmännliche Personen nicht mit ihrer Geschlechtsidentität vereinbaren lässt.
Die Gründung von Regenbogenfamilien kann auf dem biologischen Weg stattfinden, z.B. wenn vor einem Coming-Out bzw. einer Transition Kinder gezeugt werden. Dann entstehen daraus ggf. alleinerziehende Eltern, Patchworkfamilien usw., wenn die Beziehung der biologischen Eltern durch ein Coming-Out oder eine Transition endet oder sich verändert. Regenbogenfamilien können sich auch durch Adoption oder Pflegeelternschaft bilden. Dabei sind LSBTIQ* Menschen dann jedoch abhängig von den zuständigen Ämtern und deren Einstellungen gegenüber queeren Menschen als Eltern. Obwohl z.B. längst widerlegt ist, dass gleichgeschlechtliche Elternpaare das Kindeswohl gefährden, leben Mythen darüber, dass Kinder mit einer (endo und cis) Mutter und einem (endo und cis) Vater aufwachsen sollten, weiter. Queere Menschen, die eine Familie gründen wollen, versuchen es daher auch auf weniger konventionelle Arten über biologische Elternschaften. Eine anonyme Samenspende mit allen Vor- und Nachteilen ist eine Option für Menschen, die ein Kind austragen können, z.B. ein (endo, cis) lesbisches Paar. Queere Menschen mit einer Gebärmutter können ein Kind austragen, queere Menschen mit Hoden als bekannte Samenspendende Person fungieren. Dadurch entstehen vielfältige Konstellationen, die häufig mehr als zwei soziale Elternteile umfassen. Die rechtliche Absicherung von Regenbogenfamilien bleibt jedoch aufgrund eines cis- und heteronormativen Abstammungsrechts in Deutschland prekär, und ist gerade für trans* Personen ein Eintrag als Elternteil häufig zwangsweise mit Misgendern verbunden und sind gleichgeschlechtliche Ehen heterosexuellen nicht gleichgestellt; sie müssen statt einer einfachen Anerkennung eines in der Ehe geborenen Kindes den aufwändigen Weg der Stiefkindadoption gehen. Auch werden mehr als zwei Sorgeberechtigte rechtlich nicht zugelassen.
2023
Robin Bauer
Literatur
- Bergold, Pia/Buschner, Andrea (2017): Regenbogenfamilien in Deutschland. In: Bergold, Pia u.a. (Hrsg.): Familien mit multipler Elternschaft. Entstehungszusammenhänge, Herausforderungen und Potenziale. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 143–172.
- Jansen, Elke/Jansen, Kornelia (2020): Regenbogenfamilien in der Beratung – Hürden, Ressourcen und zentrale Themen. In: Timmermanns, Stefan/Böhm, Maika (Hrsg.): Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Interdisziplinäre Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 326-342.
- Nieder, Timo O./Schneider, Florian/Bauer, Robin (2022): Repronormativität und reproduktive Gerechtigkeit – eine interdisziplinäre Analyse zur Fortpflanzung im Kontext von Trans. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 35. Jg., S. 88-96.
- Rewald, Sascha (2019): Elternschaften von trans Personen: Trans Eltern zwischen rechtlicher Diskriminierung, gesundheitlicher Unterversorgung und alltäglicher Herausforderung. In: Appenroth, Max Nicolai /Castro Varela, María do Mar (Hrsg.): Trans & Care: Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung. Bielefeld: transcript, S. 187-199.