Schwarz-sein

Glossarbeitrag: Schwarz-Sein

Der Begriff „Schwarz-Sein“ beschreibt eine politische Selbstbezeichnung, die weit über die bloße Beschreibung einer Hautfarbe hinausgeht. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Position, die eng mit der Erfahrung von Rassismus, systematischer Ausgrenzung und historischer Unterdrückung durch Kolonialmächte verbunden ist. Die Großschreibung von „Schwarz“ verdeutlicht, dass es sich um ein politisches und soziales Konstrukt handelt, nicht nur um ein äußerliches Merkmal. Der Begriff entstand im Kontext kolonialer Machtverhältnisse und dient heute der Selbstermächtigung sowie der aktiven Ablehnung rassistischer Fremdzuschreibungen.

Die individuelle und kollektive Erfahrung des Schwarz-Seins ist häufig in Nationalstaaten verortet, die durch Siedlungskolonien wie den USA, Kanada, Australien, Brasilien oder Südafrika sowie durch europäische Kolonialmächte geprägt wurden. Vor dem Kontakt mit europäischen Kolonisatoren identifizierten sich Menschen auf dem afrikanischen Kontinent primär über kulturelle oder regionale Zugehörigkeiten, nicht über Hautfarbe. Die rassifizierte Kategorisierung entstand erst durch den Kolonialismus, als Hautfarbe zur Grundlage für systematische Unterdrückung und Ausbeutung wurde.

Ein bedeutendes Beispiel für die bewusste politische Nutzung des Begriffs „Schwarz“ ist die Selbstbezeichnung der Haitianer als „Noirs“ im Jahr 1805, im Rahmen ihres Widerstands gegen koloniale Unterdrückung. Diese Selbstbezeichnung schuf eine kollektive Identität, die auf Widerstand und Selbstbestimmung basierte. Spätere Bewegungen wie Black Power und „Black Lives Matter“ führten das Konzept des Schwarz-Seins weiter und etablierten es als globales Zeichen des Widerstands gegen Rassismus sowie als Symbol für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.

Die Identität Schwarzer Menschen ist nicht homogen, sondern durch eine Vielzahl von Erfahrungen geprägt. In Deutschland etwa gehören viele Schwarze Menschen zur afrikanischen Diaspora, entweder durch Migration aus afrikanischen Ländern oder als Nachfahren von Menschen, die durch die transatlantische Sklaverei nach Amerika gebracht wurden. Andere sind in zweiter oder dritter Generation in Deutschland aufgewachsen und haben eine eher historische Verbindung zu Afrika. Diese Vielfalt zeigt sich auch in intersektionalen Erfahrungen wie Frau-Sein, Queer-Sein oder Behinderung. Begriffe wie „Schwarzer Feminismus“, „Afro-Deutsche“ und „afrikanische Diaspora“ spiegeln diese vielfältigen Identitäten wider. Wichtig ist dabei zu betonen, dass der Begriff „afrikanische Diaspora“ nicht nur Schwarze Menschen vom afrikanischen Kontinent umfasst, sondern auch jene, die durch Migration und Geschichte mit Afrika verbunden sind.

Die Vielfalt und Komplexität Schwarzer Identitäten wurden nicht nur durch soziale Strukturen, sondern auch durch die rassifizierenden Theorien der Aufklärung geprägt. Philosophen wie Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Voltaire klassifizierten Schwarze Menschen und indigene Bevölkerungen als minderwertig und ordneten sie am unteren Ende einer „Rassenpyramide“ ein, während sie die „weiße Rasse“ als überlegen darstellten. Diese Theorien dienten der Legitimation von Kolonialismus, Sklaverei und systematischer Ausbeutung. Diese rassistischen Konstruktionen wirken bis heute fort und prägen die Debatten über Schwarze Menschen, sowohl in der Klassifizierung von „Rassen“ als auch in der oft unsichtbaren hierarchischen Anordnung. Diese Hierarchie existiert nicht nur in der weißen Mehrheitsgesellschaft, sondern kann auch innerhalb unterdrückter Gemeinschaften zu interner Differenzierung und Diskriminierung führen.

Die fortlaufenden Unterdrückungserfahrungen und die damit verbundenen Traumata führen manchmal zur Ablehnung bestimmter Begriffe innerhalb Schwarzer Communities. Während das N-Wort mittlerweile weithin als abwertend und rassistisch anerkannt wird, besteht weiterhin Verwirrung über Begriffe wie „farbig“. Dieser Begriff – ein Relikt rassistischer Klassifikationen – wird oft als vermeintlich weniger negativ empfunden und als Ersatz für „Schwarz“ verwendet. Gleichzeitig wird er fälschlicherweise mit „People of Color“ (PoC) gleichgesetzt, was zu Missverständnissen führt.

Der Begriff „Schwarz“ befindet sich trotz der langen Arbeit vieler Autorinnen, Aktivistinnen, Bildungsreferent*innen und vieler anderer immer noch in einem Prozess der Selbstetablierung. Er wird weiterhin geprüft und hinterfragt, insbesondere in Bezug auf die vielen historischen und gesellschaftlichen Identitäten und Erfahrungen der Schwarzen Community. Dennoch hat sich „Schwarz-Sein“ heute als bewusste Selbstbezeichnung etabliert, die sowohl die kollektive Erfahrung von Rassismus als auch den gemeinsamen Widerstand gegen Unterdrückung betont. Diese Selbstbezeichnung ist ein Ausdruck von Stolz, Solidarität und Selbstermächtigung. Es handelt sich nicht um eine Fremdzuschreibung, sondern um die bewusste Rückeroberung und Neuinterpretation einer Identität, die in einer Welt, die historisch von Rassismus und Kolonialismus geprägt ist, ein politisches Zeichen setzt.

Der Begriff „Schwarz-Sein“ kann daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss immer im Kontext dieser historischen und sozialen Dynamiken verstanden werden.

30.09.2024
Mariette Nicole Afi Amoussou (Initiative: Black Academy (www.black-academy.org))

 

Literatur