Selbstbestimmungsgesetz (SBGG)

Das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG), sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“, ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Es löste das veraltete, vom Bundesverfassungsgericht mehrfach für verfassungswidrig erklärte sogenannte „Transsexuellengesetz“ (TSG) ab.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vorher in mehreren Gerichtsurteilen das Recht auf die Selbstbestimmung in Bezug auf die eigene Geschlechtsidentität bestätigt. In den letzten Jahren hatten sich zudem nicht nur Selbstvertretungsorganisationen von trans* Menschen, sondern auch die Gutachter*innen selbst für das Abschaffen der nach TSG erforderlichen Gutachten und der damit verbundenen Fremdbestimmung ausgesprochen. Gleichzeitig war die Entwicklung und Verabschiedung des SBGG von heftigen öffentlichen Debatten begleitet, die vor allem Misstrauen gegenüber trans* Frauen schürten und die Kritik von trans*, inter* und nichtbinären (TIN*) Selbstvertretungsorganisationen fand wenig Gehör. Manche Ausführungen im SBGG legen nahe, cis Männer könnten das auf geschlechtlicher Selbstbestimmung basierende Prinzip der Selbstauskunft missbrauchen, um sich Zutritt zu Frauenräumen zu verschaffen oder im Verteidigungsfall der Wehrpflicht zu entgehen. In der Debatte um das SBGG wurde zudem die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag komplett abzuschaffen, gar nicht in Betracht gezogen, was insofern verwunderlich ist, weil das Bundesverfassungsgericht das in einem Urteil von 2017 als Alternative zu einer dritten Option vorgeschlagen hatte.

Das SBGG erleichtert TIN* Personen die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag im Vergleich zum TSG erheblich und ermöglicht endo trans* und nichtbinären Personen offiziell erstmals einen Eintrag als „divers“, was vorab nur inter* Personen möglich war, wenn sie ein ärztliches Attest mit einer entsprechenden Diagnose vorlegen konnten (seit 2018 gemäß §45b PStG). Mit Inkrafttreten des SBGG sind TIN* Personen in Bezug auf die Möglichkeiten der Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag gleichgestellt.

 

Neu ist, dass allen TIN* Personen die Einträge als „männlich“, „weiblich“, „divers“ oder „kein Eintrag“ offenstehen. Weitere Optionen oder eine freie Wahl der Bezeichnung der eigenen Geschlechtsidentität wurden nicht zugelassen. So gesehen, entspricht der Geschlechtseintrag auch mit dem SBGG nicht unbedingt der Selbstbezeichnung, was der Name „Selbstbestimmungsgesetz“ nahelegen würde, sondern verwendet Geschlecht weiterhin als Ordnungsprinzip. Der Begriff „divers“ stellt keine gängige TIN* Selbstdefinition dar, sondern eine Art Dachbegriff. Der Fortschritt besteht daher erstens in der seit 2018 schrittweisen Erweiterung von zwei Möglichkeiten (männlich/weiblich) auf eine dritte Kategorie dazwischen („divers“) und einer vierten Kategorie jenseits von Geschlecht (kein Eintrag). Zweitens liegt die Entscheidungsgewalt über den eigenen Vornamen und Geschlechtseintrag nun bei der jeweiligen TIN* Person und nicht mehr den Gutachter*innen, in diesem Punkt handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, der die Selbstbestimmung von TIN* faktisch erheblich erhöht. Lediglich die als „Bedenkzeit“ eingeführte Wartefrist von drei Monaten (s.u.) erhält einen paternalistisch-bevormundenden Charakter. Mit dem Wegfall der Gutachten und den damit verbundenen Kriterien eines psychischen Zwangs findet auch eine sehr wichtige Entpathologisierung von trans* Identitäten statt. Der Wegfall einer Diagnose bei inter* Personen hat ebenso entpathologisierenden Charakter. Drittens wird die Entkopplung von Geschlechtskörper und Identität, die sich in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts schon abgezeichnet hatte, bestätigt und somit die Selbstbestimmung über die eigenen Körper von TIN* zumindest in Ansätzen bestärkt. Solange jedoch inter* Körper vor rein kosmetischen Eingriffen im Kindesalter nicht konsequent geschützt sind und TIN* Personen weiterhin Gutachten für medizinische Transitionsprozesse benötigen, ist die körperliche Selbstbestimmung und Integrität von TIN* Personen noch nicht vollständig umgesetzt. Das Gesetz lässt viele Fragen zu den Konsequenzen, die eine Änderung des Geschlechtseintrags oder die Erweiterung auf mehr als zwei Geschlechter mit sich bringen, unbeantwortet. So wird in Fragen des Strafvollzugs auf die Länderhoheit verwiesen oder in Fragen des Sports auf die Zuständigkeit von Vereinen und Verbänden. Diese Auseinandersetzungen werden also weiterhin mit offenem Ausgang geführt werden. In Bezug auf das bis dato hetero- und cis-normative Abstammungsrecht war in der sog. Ampelkoalition eine Reform geplant, der Entwurf ist jedoch vor den vorgezogenen Neuwahlen 2025 nicht mehr zur Abstimmung gekommen.

Das Verfahren nach SBGG ist im Vergleich zum TSG deutlich kürzer und weniger kostspielig, weil die Gutachten wegfallen. Das TSG hatte u.a. zwei Sachverständigengutachten und eine richterliche Entscheidung für die Änderung des Vornamens, sowie zusätzlich u.a. Unfruchtbarkeit und die chirurgische Anpassung des Körpers an die Identität für die Änderung des Personenstands vorgeschrieben. Der §45b des Personenstandsgesetzes (PStG) machte für inter* Personen ein ärztliches Attest zur Bedingung eines Eintrags als „divers“. Im Vergleich dazu erleichtert sich das Verfahren nach SBGG deutlich: Es genügt nun eine Erklärung gegenüber einem deutschen Standesamt (sog. „Erklärung mit Eigenversicherung“), die jedoch drei Monate vorher angemeldet werden muss (Wartefrist als „Bedenkzeit“, in der Namen und Geschlechtseintrag noch geändert werden können). Vor erneuter Änderung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr (mit Ausnahme von Minderjährigen). In Deutschland wohnhafte TIN* Personen, deren Geschlechtseintrag im Ausland erfolgt ist, können eine Bescheinigung in Ergänzung zu ihrem Ausweis über ihre selbstgewählten Namen und Personenstand beantragen.

Die Vornamen müssen dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen. Hierbei sind z.B. bei einem Geschlechtseintrag als „weiblich“ weibliche Vornamen, geschlechtsneutrale Vornamen oder eine Kombination von weiblichen und geschlechtsneutralen Vornamen zulässig, ein rein männlicher Vorname hingegen nicht. Das ist insofern bemerkenswert, als das TSG Vornamensänderung und Personenstandsänderung einzeln betrachtet hat, sodass z.B. ein männlicher Vorname bei weiblichem Geschlechtseintrag möglich war, wenn auch häufiger unfreiwillig als absichtlich, wenn z.B. die Anforderungen für die Personenstandsänderung (noch) nicht gegeben waren. Für die Einträge „divers“ oder die Streichung des Eintrags hingegen werden im SBGG keinerlei Vorschriften gemacht. In der Praxis wird sich zeigen, wie Standesämter dies auslegen. TIN* Personen erhalten nach einer Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag nicht nur neue Ausweispapiere, sondern haben auch einen Rechtsanspruch auf die Änderung weiterer Dokumente wie Geburtsurkunde, Führerschein oder Zeugnisse. Das sog. Offenbarungsverbot aus dem TSG wurde beibehalten. Es ist demnach verboten, frühere Geschlechtseinträge von TIN* Personen ohne deren Zustimmung in Erfahrung zu bringen oder zu offenbaren. Bestraft werden allerdings nur Fälle, in denen die TIN* Person dadurch absichtlich geschädigt wurden.  Zudem gilt das Verbot nicht explizit für deadnaming oder misgendern. Somit bleibt das Gesetz hier inkonsequent, was den Schutz von TIN* Personen vor transfeindlichen Angriffen betrifft.

Für Minderjährige gelten teilweise andere Bestimmungen. Für Minderjährige bis 14 Jahren geben die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung ab, ab einem Alter von fünf Jahren muss das Kind dem persönlich auf dem Standesamt zustimmen. Minderjährige ab 14 Jahren geben die Erklärung selbst ab, benötigen aber dennoch die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter*innen. In jedem Fall muss erklärt werden, dass die Minderjährigen vollumfänglich informiert sind, jedoch besteht keine Beratungspflicht für Minderjährige. Auch das Familiengericht kann im Sinne des Kindeswohls in bestimmten Fällen die Zustimmung geben. Das ist eine wichtige Bestimmung, da manche Eltern der TIN* Geschlechtsidentität ihrer Kinder ablehnend gegenüberstehen oder Elternteile mit gemeinsamer Sorgeberechtigung sich nicht immer einigen können. Gleichzeitig kann das Einbeziehen des Familiengerichts jedoch den Prozess in die Länge ziehen und TIN* Kinder und Jugendliche belasten.

Für Menschen mit Behinderung, die als geschäftsunfähig eingestuft sind, kann nur die rechtliche Betreuer*in die Erklärung abgeben und das Betreuungsgericht muss zustimmen. Die Selbstbestimmung von Menschen mit bestimmten Behinderungen ist hier also im Vergleich zu anderen erwachsenen Menschen eingeschränkt worden. Der Bundesverband Trans* hat für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Heft in Leichter Sprache zu dem neuen Gesetz geschrieben.

Das SBGG vereinfacht den Zugang zu vier Geschlechtseinträgen für TIN* Personen deutlich, wird jedoch in einigen Punkten der gelebten vielfältigen Realität sowie fortbestehenden Barrieren zur Teilhabe und Selbstbestimmung von TIN* Personen nicht gerecht. Hier besteht also weiterhin Reformbedarf. Ob der sich jedoch politisch durchsetzen lässt, ist fraglich. So steht beispielsweise im Wahlprogramm der CDU/CSU von 2024, dass das SBGG wieder abgeschafft werden soll.

 

2025
Robin Bauer

Literatur

  • Bundesverband Trans* (2024): Mehr Selbst-Bestimmung für trans, inter und nicht-binäre Menschen. Infos zum Selbst-Bestimmungs-Gesetz. Ein Heft in einfacher Sprache. Berlin. https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2024/12/Infos-in-einfacher-Sprache_Webversion_2024.pdf, 25.02.2025.
  • Bundesverband Trans* (2024): Leitfaden Selbstbestimmungsgesetz. Informationen zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen nach dem SBGG. Berlin. https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2025/02/BVT-Leitfaden-SBGG.pdf, 25.02.2025.
  • Mangold, Anna Katharina (2024): Das Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft. Über Rechtskämpfe, die rechtliche Erfassung und Regulierung von Geschlecht und den Paradigmenwechsel von der Fremd- zur Selbstbestimmung. Anna Katharina Mangold im Gespräch mit Aline Oloff. In: Feministische Studien H.2, S. 272-288.
  • Zeitschrift für Sexualforschung (Hrsg.) (2013): Debatte zum Reformbedarf des Transsexuellengesetzes (TSG), in: Zeitschrift für Sexualforschung, 26. Jg., H.2, S. 143-187.