Stereotype
Unter dem Begriff Stereotyp versteht man, gesellschaftlich geteilte Konstrukte über bestimmte Menschengruppen. Stereotype enthalten unser Wissen, Überzeugungen und Erwartungen über eine soziale Gruppe von Menschen. Zum Beispiel gibt es Stereotype über soziale Gruppen anhand äußerlicher Merkmale wie Haarfarbe, Ethnizität, oder Religion.
Die soziale Identität einer Person macht sie zum Teil einer Eigengruppe, die nicht zuletzt auch durch Stereotype von einer Fremdgruppe differenziert wird. Eine Person kann sich etwa sozial als Arbeiter:in, Akademiker:in, BiPOC, oder weiß identifizieren.
Nach Tajfel (1981) erfüllen Stereotype die folgenden Funktionen: Positive Differenzierung, kausale Erklärung, und soziale Rechtfertigung.
Vergleicht man die Eigengruppe mit einer anderen Fremdgruppe, gibt es das Motiv, die Eigengruppe positiv von der Fremdgruppe abzugrenzen und dabei besonders Merkmale zu betonen, bei denen die Eigengruppe positiv anders ist im Vergleich zur Fremdgruppe.
Ebenso nutzt man Stereotype, um sich soziale Phänomene, Verhalten, oder Merkmale einer Fremdgruppe kausal zu erklären.
Zu guter Letzt dienen Stereotype auch dazu die Behandlung einer Fremdgruppe zu rechtfertigen. Insbesondere Diskriminierung wird so gerechtfertigt. Beispielsweise dienten historisch rassistische Stereotype über „Wilde“ dazu, Kolonialismus zu rechtfertigen.
Welche Inhalte Stereotype haben können, ist im Modell des Stereotypinhalts (Fiske, Cuddy, Glick und Xu, 2002) definiert, welches die Arten von Stereotypen anhand von zwei Dimensionen einteilt: Kompetenz und Wärme, jeweils eingeteilt in hoch und niedrig. So ergeben sich vier Arten von Stereotypen: Paternalistische Stereotype, bewundernde Stereotype, verächtliche Stereotype und neidvolle Stereotype.
Bei paternalistischen Stereotypen handelt es sich zum Beispiel um Stereotype über Personengruppen, denen die Gesellschaft gemeinhin als warm gegenüber eingestellt ist. Sie werden aber innerhalb eines gesellschaftlichen Wettbewerbs auch nicht als bedrohlich wahrgenommen, aufgrund der ihnen zugeschriebenen niedrigen Kompetenz und daraus resultierenden niedrigen Status. Diese Kombination von Wärme und geringer Kompetenzzuschreibung kann Emotionen wie Mitgefühl oder Mitleid auf sich belassen. Oberflächlich mag das eine positive Reaktion sein, kaschiert aber ein paternalistisches Vorurteil. Stereotype über Senior:innen oder vermeintlich wohlwollender Sexismus fallen in diese Kategorie.
Anders verhält es sich bei den bewundernden Stereotypen, zum Beispiel über Prominente. Ihnen ist die Gesellschaft meist warm gegenüber eingestellt, und ihnen wird eine hohe Kompetenz zugeschrieben.
Bei verächtlichen Stereotypen, zum Beispiel Stereotype über Bürgergeldbeziehende oder Erwerbslose, wird Personengruppen eine niedrige Kompetenz zugeschrieben und die Gesellschaft ist ihnen gegenüber auch nicht warm eingestellt.
Abschließend gibt es gemäß des Stereotype Content Models noch neidvolle Stereotype, wie etwa antisemitische Stereotype gegenüber Jüdinnen:Juden, oder auch asiatischen Migrant:innen.
Die Einstellung ihnen gegenüber ist gemeinhin, aber trotzdem wird ihnen eine hohe Kompetenz zugeschrieben.
Das Modell des Stereotypinhalts bildet also auch vermeintlich positive Stereotype als solche ab, zum Beispiel die neidvollen Stereotype, und macht sie somit als Konstrukte die oftmals mit Diskriminierung oder Rassismus einhergehen, erkennbar.
Die Fähigkeit von Menschen unsere soziale Umwelt in soziale Kategorien aufzuteilen, oft mittels Stereotypen, ist eine lebenswichtige Anpassungsfähigkeit. Ohne diese Fähigkeit, wäre jede Begegnung neu und müsste dementsprechend behandelt werden. Die Vereinfachung der Welt in solche Kategorien, wandelt unsere Umwelt in eine geordnete, besser vorhersagbare und dadurch auch kontrollierbare Welt um. Kategorisierungen haben also durchaus einen Sinn, und sind nicht nur individuell psychologisch erklärbar, sondern auch sozialpsychologisch. Insbesondere in Settings, in denen zwei soziale Gruppen aufeinandertreffen, sind die oben genannten Entstehungsgründe für Stereotype und Vorurteile relevant zur Erklärung. Trotz alledem bilden Stereotype die sozialpsychologische Basis von verschiedenen Diskriminierungsformen, wie etwa Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus.
30.08.2024
Ricardo Bolaños González
Literatur
- Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2018). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. In Social cognition (pp. 162-214). Routledge.
- Tajfel, H. (1981). Social stereotypes and social groups. In J. C. Turner & H. Giles (Eds.), Intergroup behavior (pp. 144–167). Oxford, UK: Blackwell.
