TIN*
Das Akronym TIN* steht für eine Reihe von Personen(gruppen), die gemeinsam haben, dass sie in einer zweigeschlechtlichen Gesellschaft nicht in die Normvorstellung passen, sei es bezogen auf den Körper, die Identität oder beides. Die einzelnen Buchstaben stehen für:
T Trans* Personen
I Inter* Personen
N Nichtbinäre Personen
Trans* Personen sind Personen, deren Geschlechtsidentität (aus der Sicht der Norm) nicht zum bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht passt. Inter* Personen sind Personen, deren körperliches Geschlecht nicht in die Normvarianten männlich/weiblich passt. Nichtbinäre Personen sind Personen, deren Geschlechtsidentität nicht Mann oder Frau ist, sondern etwas anderes jenseits dieser binären Kategorien. Für alle drei Begriffe gilt, dass sich dahinter jeweils eine sehr große Vielfalt an unterschiedlichen Körpern, Identitätskonzepten und Biographien sowie Lebenslagen verbirgt.
Wie auch bei den Akronymen LSBTIQA* oder FLINTA* fehlt beim Begriff TIN* eine intersektionale Perspektive auf Fragen von Identität oder Diskriminierung. Aus dem Blick gerät so, dass die Norm der Zweigeschlechtlichkeit nicht auf alle trans*, inter* und nichtbinären Personen gleich wirkt. Beispielsweise sind in der Regel als trans* weiblich wahrgenommene Personen anderen Formen von Diskriminierung ausgesetzt als trans* männliche Personen. Strukturelle Gewalterfahrungen von inter* Personen (z.B. durch medizinische Zwangsbehandlungen im Kindesalter) unterscheiden sich deutlich von der von trans* oder nichtbinären endogeschlechtlichen Personen. Menschen mit sog. geistigen oder seelischen Behinderungen ist der Zugang zur Transition deutlich erschwert. Zudem sind Identitätskonzepte wie „trans*“ oder „nichtbinär“ historisch zunächst im Globalen Norden entstanden und somit auch kulturell spezifisch, werden jedoch häufig als universelle Kategorien verwendet. Das lässt außer Acht, dass es unzählige andere kulturell/regional spezifische Verständnisse von Geschlecht und Geschlechtsidentitäten gibt, die nicht eins-zu-eins auf das „westliche“ Modell übertragbar sind. Zudem haben die europäischen Kolonialherren kulturelle Modelle jenseits der Kategorien Mann/Frau wie beispielsweise Hijras in Indien oder die sehr diversen two-spirit-Geschlechter auf dem nordamerikanischen Kontinent versucht zu vernichten, sowohl kulturell/spirituell als auch mit körperlicher Gewalt. So setzten z.B. spanische Soldaten in Kalifornien trainierte Hunde ein, um „Joyas“ (spanische Bezeichnung für Mitglieder eines „dritten Geschlechts“) systematisch zu ermorden. Ein Export „westlicher“ Identitätskonzepte in vormalige Kolonien ist daher kritisch zu betrachten, da er erneut die Existenz von präkolonialen Kategorien jenseits von Mann/Frau unsichtbar macht und die eigene Sichtweise selbstverständlich als universell setzt.
Dennoch lässt sich als Gemeinsamkeit aller TIN*-Personen herausfiltern, dass ihren Identitäten und/oder Körpern aufgrund der Norm der Zweigeschlechtlichkeit und genauer aufgrund der Cis-Normativität bzw. Endo-Normativität eine uneingeschränkte gesellschaftliche Anerkennung bis heute verweigert wird, auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Erfolge der trans* und inter* Bewegungen bereits viel verändert hat, beispielsweise im Recht. Deswegen gibt es auch Solidarität und Koalitionen zwischen diesen Gruppen, die sich zudem überschneiden: Inter* Personen können sich z.B. aufgrund des nichtbinären Körpers als nichtbinär identifizieren. Trans* Personen können sich entweder binär oder nichtbinär identifizieren. Nichtbinäre Personen können umgekehrt gleichzeitig inter* oder trans* sein. Inter* Personen können sich gleichzeitig als trans* identifizieren bzw. in Teilen eine trans* Biographie erleben (z.B. wenn ihnen ihre inter-Geschichte nicht bekannt ist und sie sich Unstimmigkeiten in ihrem Identitätserleben als trans* erklären oder so leben). T, I und N sind also auf komplexe Weise voneinander verschieden und gleichzeitig miteinander verwoben. Daher gibt es Veranstaltungen, Organisationen und Räume, die sich an das breite Dach „TIN*“ als „safer space“ richten und gemeinsam danach streben, die Einschränkungen und Gewalt, die von einer Zweigeschlechter-Norm ausgeht, zu bekämpfen.
2023
Robin Bauer
Literatur
- Dutta, Aniruddha/Roy, Raina (2014): Decolonizing Transgender in India: Some Reflections. In: Transgender Studies Quarterly, 1. Jg, H. 3, S. 320-336.
- FaulenzA (2017): Support your sisters, not your cisters. Über Diskriminierung von trans* Weiblichkeiten. Münster: edition assemblage.
- Fütty, Tamás Jules (2021): Anerkennung und Gewalt gegen trans*, nichtbinäre und inter* Menschen. Konturen eines mehrdimensionalen und intersektionalen (Anti-)Gewaltbegriffs. In: Laufenberg, Mike/Thompson, Vanessa E. (Hrsg.): Sicherheit. Rassismuskritische und feministische Beiträge. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 287-313.
- Miranda, Deborah A. (2013): Extermination of the Joyas. Gendercide in Spanish California. In: Stryker, Susan/Aizura, Aren Z. (Hrsg.): The Transgender Studies Reader 2. New York/London: Routledge, S. 350-363.