Transfeindlichkeit/Transphobie

Der Begriff „Transphobie” ist analog zum Begriff Homophobie entstanden und derselben Kritik ausgesetzt: Die Endung „-phobie” ist insofern irreführend, als es sich nicht einfach um eine irrationale Angst oder Abscheu einzelner Individuen gegenüber trans* Personen handelt, sondern um eine Folge der Norm der Zweigeschlechtlichkeit und des Cisgenderismus, also tief in der Gesellschaft verankerter Strukturen und Institutionen. Diskriminierende und gewalttätige Handlungen von Einzelpersonen gegenüber trans* Personen sind also nur ein möglicher Ausdruck von Cisgenderismus neben institutioneller und struktureller Gewalt. Beispiele für institutionelle Gewalt sind Unfruchtbarkeit als Bedingung für eine Personenstandsänderung, Diskriminierung im Gesundheitswesen oder das Verweigern des Zugangs in geschlechtergetrennten Settings wie Toiletten, Obdachlosenunterkünften oder auch das Unterbringen von trans* Frauen in Männerräumen, insbesondere wo das mit einem hohen Risiko an Gewalt durch Männer einhergeht wie in Gefängnissen. Transfeindliche Handlungen richten sich zudem nicht unbedingt gegen trans* Personen per se, sondern vor allem gegen Personen, die aus der Sicht der Norm so wahrgenommen werden, dass sie (deutlich) gegen Geschlechterkonventionen verstoßen. Das kann auch Menschen treffen, die sich selbst nicht als trans* verstehen, während trans* Personen, die als Männer oder Frauen durchgehen, teilweise von transfeindlichen Handlungen durch Individuen im öffentlichen Raum verschont bleiben.

Das Ausmaß an transfeindlichen Handlungen war lange nicht Gegenstand von Forschung und ist auch nur bedingt zu erfassen, u.a. weil sie sich nicht zwangsläufig an der Identität einer Person festmachen lassen, weil es daher Überschneidungen zu Homophobie gibt, die auch häufig auf der Wahrnehmung einer Person als abweichend von Geschlechternormen wahrgenommen wird und weil in allgemeinen Statistiken trans* als Kategorie gar nicht vorkommt bzw. auch schwer zu fassen ist. Dennoch ist bekannt, dass trans* Personen von diversen Formen von Diskriminierung und Gewalt sowohl in öffentlichen Raum als auch im sozialen Nahraum betroffen sind, z.B. werden sie häufig Opfer häuslicher/sexualisierter Gewalt, wenn sie einem Partner mitteilen, dass sie trans* sind oder dass sie eine Transition wünschen. Trans* Personen werden auch aufgrund des Motivs Transphobie Mordopfer. Daher dokumentiert die trans* Community seit Jahrzehnten selbst so gut wie möglich die Mordfälle an trans* Personen aus transfeindlichen Motiven heraus und organisiert den TDoR-Tag (Transgender Day of Remembrance) zur Erinnerung an die Opfer. Das Trans Murder Monitoring der TGEU, einer NGO auf EU-Ebene, zählte z.B. 350 Mordfälle weltweit zwischen 2023 und 2024, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Die Mordopfer sind dabei vor allem BIPoC trans* Frauen, worunter viele in der Sexarbeit tätig sind. Das hat den Hintergrund, dass aufgrund von Diskriminierung in Schule, Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt trans* Personen überproportional von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind. Insbesondere in Ländern mit schlechter sozialer Absicherung und dort, wo die medizinische Transition nicht von Krankenkassen oder Sozialversicherungen übernommen wird, greifen vor allem trans* Frauen auf Sexarbeit zurück, um den Lebensunterhalt und ggf. die Transition zu finanzieren. Dies kann wiederum zur Illegalisierung führen, wenn Sexarbeit kriminalisiert wird. Trans* Personen sind weiterhin von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und damit einhergehend in Kombination mit dem erhöhten Armutsrisiko überproportional von Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit betroffen.

Transfeindlichkeit trifft BIPoC trans* Personen auf besondere Art und Weise, weil Rassismus und Kolonialismus vielfältige Wechselwirkungen mit Cis- und Endonormativität  aufweist. So bekämpften Kolonialmächte überall alternative Geschlechter jenseits der Mann/Frau-Dichotomie und verfolgten indigene Personen anderer Geschlechter. Aktuelle Verständnisse von trans* Identitäten basieren hingegen auf weißen Konzepten, insbesondere die pathologisierenden  Sichtweisen aus der Medizin (Stichwort „Transsexualität“  oder „Geschlechtsidentitätsstörung“). Aber auch in Mediendarstellungen von trans* oder innerhalb von trans* Communitys werden trans* Identitäten häufig (implizit) als weiß gedacht und von anderen Formen von Diskriminierung losgelöst, wenn etwa Fragen von Transition als einziges Problem von trans* Personen in Mittelpunkt stehen, während sich für trans* BIPoC aufgrund von Rassismus und damit oft einhergehender Armut auch andere Fragen stellen bzw. der Zugang zu medizinischer Transition auch erschwert oder versperrt sein kann. Wie das murder monitoring eindrücklich zeigt, sind insbesondere BIPoC trans* Frauen von intersektionaler Gewalt betroffen.

Es gibt zudem zahlreiche Formen von Mikroagressionen, die sich gegen Personen richten, die Geschlechternormen nicht entsprechen und die daher als alltäglicher und eher subtiler Ausdruck von Transphobie und Cisgenderismus gelten, der zu Minoritätenstress führt. Beispiele dafür sind: Anstarren, die Privatsphäre verletzende Fragen, z.B. nach den Genitalien, misgendering , deadnaming , die Konstruktion von trans* Personen als Betrüger*innen, wenn sie ihren trans* Status nicht offenlegen, Outing ohne Zustimmung, Kommentare darüber, ob die Wahrnehmung des Gegenübers zur Geschlechtsidentität passt, was auch vermeintliche Komplimente zum Passing  umfassen kann, trans* Personen oder ihre Diskriminierung lächerlich machen usw.

Ein sehr verbreiteter Ausdruck von Transfeindlichkeit ist die komplette Leugnung der Existenz von Transidentitäten, was trans* Personen ihr Existenzrecht abspricht und ihnen die Anerkennung ihrer Identität verweigert. Das drückt sich in absichtsvollem Misgendern aus, vor allem aber im Verweigern der Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen oder Männer. Diese Art der Transfeindlichkeit wird u.a. von rechten und rechtsextremen Kräften vertreten sowie auch von bestimmten feministischen Strömungen. Letztere werden aktuell als TERF (trans* exkludierende radikale Feministinnen) bezeichnet, sind aber kein neues Phänomen. Anti-trans Feminismus ist bereits seit den 1970er-Jahren dokumentiert.

2024
Robin Bauer

Literatur

  • Bettcher, Talia Mae (2014): Transphobia. In: TSQ, H. 1-2, S. 249-251.
  • Brown, Nicola A. (2021): Intimate Partner Violence. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 454-458.
  • Franzen, Jannik/Sauer, Arn (2010): Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben. Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin: Eigenverlag.
  • Gill-Peterson, Jules (2021): Youth and Teens of Color. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 939-941.
  • Namaste, Viviane K. (2000): Invisible lives. The erasure of transsexual and transgendered people. Chicago/London: Chicago University Press.
  • Shelton, Jama (2021): Homelessness/Shelters. In: Goldberg, Abbie E./Beemyn, Genny (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. Thousand Oaks: SAGE, S. 402-404.
  • TGEU (2024): Will the cycle of violence ever end? TGEU’s Trans Murder Monitoring project crosses 5,000 cases. https://tgeu.org/will-the-cycle-of-violence-ever-end-tgeus-trans-murder-monitoring-project-crosses-5000-cases/, 26.03.2025.