Varianten der Geschlechtsentwicklung
Der Begriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist ein Dachbegriff und eine Alternative zu älteren medizinischen und teilweise pathologisierenden Begriffen für intergeschlechtliche Körper wie „Pseudohermaphroditismus“ oder diversen „Anomalien“, wie inter* Phänomene z.B. im ICD bezeichnet werden oder dem medizinischen Dachbegriff der „Intersexualität“ .Im Englischen wurde der Begriff „intersex“ sowohl von der Medizin als auch von inter* Personen selbst verwendet, da „sex“ im Englischen der Begriff für das biologische Geschlecht darstellt und „intersex“ somit eine Person beschreibt, deren Körper sich zwischen den beiden Normvarianten männlich/weiblich befindet. Die Medizin führte dann jedoch im englischsprachigen Kontext den Dachbegriff „disorders of sexual developments“ („Störungen der Geschlechtsentwicklung“) abgekürzt mit DSD ein, was eine pathologisierende Perspektive festschrieb. Aus der Kritik daran entwickelte sich als nicht-pathologisierende Alternative der Begriff „differences in sexual developments“, also „Unterschiede“ statt Störungen (weiterhin abgekürzt mit DSD). Der deutschsprachige Begriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ entspricht in etwa dieser neueren Sprachregelung, die neutraler von Unterschieden statt von krankhaften Abweichungen oder Störungen spricht.
Viele inter* Vereinigungen nutzen den Begriff, weil er relativ neutral ist und verständlich beschreibt, worum es geht, bevorzugen aber weiterhin die Selbstbezeichnungen „intergeschlechtlich“, „inter“ oder „inter*“. Das hat u.a. den Hintergrund, dass die Medizin als mächtige Institution die Deutungshoheit über inter* Körper für sich beansprucht und das in der Vergangenheit und bis heute zur Folge hatte, dass grundlegende Menschenrechte von inter* Personen verletzt wurden. Daher ist von essenzieller Bedeutung, dass inter* Personen selbstbestimmt leben können und dazu gehört auch, nicht in den Begriffen der Medizin zu denken.
2023
Robin Bauer
Literatur
- De Silva, Adrian (2007): Physische Integrität und Selbstbestimmung: Kritik medizinischer Leitlinien zur Intersexualität. In: Zeitschrift für Sexualforschung 20, S. 176-183.
- Haller, Paul/Pertl, Luan/Ponzer, Tinou (Hrsg.) (2022): Inter* Pride. Perspektiven aus einer weltweiten Menschenrechtsbewegung. Hiddensee: w_orten & meer.
- Hoenes, Josch u.a. (2019): Häufigkeit normangleichender Operationen “uneindeutiger” Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie. Ruhr-Universität Bochum. https://omp.ub.rub.de/index.php/RUB/catalog/book/113, 3.12.2021
- Klöppel, Ulrike (2012): Medikalisierung “uneindeutigen” Geschlechts. In: APuZ 20-21/2012, S. 28-35.
- Voß, Heinz-Jürgen (2012): Intersexualität – Intersex. Eine Intervention. Münster: Unrast.